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Katzenhöhle

Katzenhöhle

Titel: Katzenhöhle
Autoren: Hildegunde Artmeier
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Darauf eine hellblaue Leinentischdecke, eine mit Blättern verzierte Vase, in der ein kleiner Blumenstrauß steckte. Gelb, lila, orange – ein erster Frühlingsgruß in diesem nasskalten Winter, der schon viel zu lange dauerte.
    Lilian setzte sich an den Tisch. »Bitte, kommen Sie her.«
    Die junge Frau drehte sich um. Ihre Augen leuchteten in einem tiefen, warmen Braun, doch sie scheuten jeden direkten Blickkontakt. Alles an ihr war zart, fast filigran, die Augenbrauen ebenso wie die hohen Wangenknochen, auch die Lippen, die sich kaum von ihrer alabasterfarbenen Haut abhoben, dazu ein schlanker Hals und ungewöhnlich zierliche Hände. Sie erinnerte Lilian an Helena, die Lieblingsschülerin ihres Ballettlehrers, die alle Übungen anmutig wie ein Reh absolviert hatte. Auf einmal kam Lilian sich wieder so plump vor wie damals auf jenen Holzbrettern, auf denen man jeden falschen Schritt hören konnte, auch wenn man ihn übersehen hatte. Was im Falle des Ballettlehrers so gut wie nie vorgekommen war.
    Auch bei dieser Frau hatte Lilian auf einmal das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. Und wenn sie sich nicht täuschte, dann sah sie der toten Frau dort draußen im Wohnzimmer zum Verwechseln ähnlich. Aber immerhin waren sie ja Schwestern.
    Langsam kam die Frau näher. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, fließend. Als sie sich setzte, war fast kein Geräusch zu hören. Sie schaute Lilian nicht an, musterte nur den Blumenstrauß, als hätte sie diesen noch nie zuvor gesehen. Das dunkle Lila der Veilchen hatte den gleichen Farbton wie die seidige Bluse, die sie unter ihrem eleganten Hosenanzug trug.
    »Was geschah, als Sie ins Wohnzimmer kamen?«
    »Da … sah ich sie dann, sie lag auf dem Sofa. Ich wusste sofort, dass sie tot war – mit dem ganzen Blut.« Sie schüttelte den Kopf, als verstünde sie etwas nicht. »Sie hat sie gehasst. Alle.«
    »Wer hat wen gehasst?«
    »Na, Mira – sie hat meine Statuen gehasst. Jede einzelne. So was Obszönes, Anstößiges, hat sie dauernd gesagt. Vor allem die rot-weiße Marmorstatue war ihr zuwider. Und dann wird sie ausgerechnet damit erschlagen. Was für eine Ironie.«
    »Wieso Mira? An der Eingangstür steht doch ›Lena Zolnay‹.«
    »Das bin ich: Lena. Mira liegt da draußen.« Sie sagte das ohne jede erkennbare Emotion. Jetzt glich sie nicht mehr einem Reh, denn das wäre schon längst davongesprungen.
    »Sie haben zu zweit hier gewohnt?«
    »Nein. Das ist meine Wohnung. Mira war zu Besuch.«
    »Seit wann?«
    »Seit Freitag letzter Woche.«
    »Für wie lange?«
    »Das hatte sie offen gelassen. So lange es ihr eben gefiel, für ein paar Tage oder Wochen.« Gleichgültig zuckte sie mit den schmalen Schultern. »Mira war so, schon immer. Man wusste nie, was als Nächstes passieren würde.«
    »Gut, Sie haben Ihre Schwester Mira also auf dem Sofa liegen sehen. Was haben Sie dann gemacht?«
    »Ich bin zum Telefon und hab die Polizei angerufen. Dann hab ich mich hingesetzt, bis die Streife kam. Auch der Notarzt war bald da.«
    »Wo haben Sie gewartet?«
    »Im Wohnzimmer, auf dem Sessel neben dem Sofa.«
    Die Streife musste nach sechs, sieben, höchstens zehn Minuten angekommen sein. Ziemlich lange Zeit, um sie mit einer Toten zu verbringen.
    »Hat es Ihnen nichts ausgemacht, ausgerechnet dort zu warten?«
    »Nein. So hatte ich Zeit, mich von ihr zu verabschieden.«
    Lenas Stimme hatte sich nicht verändert, als hätte sie davon gesprochen, wie sie sich das letzte Mal mit ihrer Schwester in einem Café verabredet hätte. Nur ihre Augen waren auf einmal ganz dunkel geworden, trübe. Doch der Moment war sofort wieder vorbei.
    »Was für eine Beziehung hatten Sie zu Ihrer Schwester?«
    Lena schwieg. Sie starrte verkrampft auf ein Veilchen und fing an, dieses mit ihren feingliedrigen Fingern zu berühren. Zuerst strichen sie über ein behaartes Blatt, dann über den Stängel, schließlich zupften sie an einem Blütenblatt.
    »Ich habe Mira seit fünf Jahren nicht mehr gesehen«, sagte sie zögernd. »Damals ist sie von München nach Berlin, später nach Mailand, vor eineinhalb Jahren nach London. Sie lebte ein ganz anderes Leben als ich. Es war schwierig.«
    »Warum hat Mira Sie jetzt nach dieser langen Zeit besucht?«
    »Wo hätte sie sonst hin sollen? Nur bei mir konnte sie sich zurückziehen. Sie war in einer künstlerischen Krise, vielleicht auch in einer persönlichen. So genau weiß ich das nicht.« Lena lächelte, wirkte fast amüsiert. »Mira war oft in irgendeiner Krise.
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