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Katzenhöhle

Katzenhöhle

Titel: Katzenhöhle
Autoren: Hildegunde Artmeier
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menschliche Körper fähig war? Sie wusste genug über die Anatomie des Menschen, um sich ein Urteil erlauben zu dürfen.
    Sie trank einen großen Schluck. Das war wirklich etwas Besonderes – ungestört trinken zu können. Allein deshalb hatte es sich gelohnt, diese Reise auf sich zu nehmen. Das Reisen an und für sich war etwas Alltägliches für sie, doch sonst waren die Umstände anders. Genießerisch nippte sie ein zweites Mal von dem verbotenen Nass. Betörend und herb zugleich sickerte es durch ihre Kehle und erwärmte ihren Bauch nach dem ausgiebigen Bad jetzt auch von innen. Außerdem übertönte es den Hunger. Diesen ständigen Hunger, an den sie sich wohl nie gewöhnen würde. Obwohl es eine Selbstverständlichkeit war, so wenig wie möglich zu essen. Sogar jetzt, wo es nicht zählte und sie nach Herzenslust hätte schlemmen können.
    Sie fing zu kichern an – wenn Larissa sie jetzt sehen könnte. Was für ein Vergnügen es doch wäre, über ihr dummes Gesicht zu lachen. Sollte sie Larissa anrufen und ihr anschaulich schildern, was sie sich eben leistete? Besser nicht, das Telefonat von gestern hatte ihr gereicht. Allerdings hätte sie gerne mit Ced gesprochen, vielleicht sollte sie sich bei ihm melden? Nein, keine gute Idee. Sie brauchte Abstand. Er hatte sie so tief verletzt wie noch niemand vor ihm. Trotzdem wusste sie, dass er bald angekrochen käme, wenn sie ihm nur die Gelegenheit böte. Lang würde er es nicht aushalten, ohne sie. Wie sollte er auch – sie war das Beste, was ihm je begegnet war.
    Der Alkohol beschwingte und beruhigte sie. Sie fühlte sich losgelöst. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich gewünscht, sich genau so leicht zu fühlen wie jetzt. Wenn sie nur gewusst hätte, wie einfach das war. Diese endlosen Stunden schwerer Arbeit, in denen sie sich beharrlich darin geübt hatte, wie eine Feder durch den Raum zu schweben – was für eine ermüdende Aufgabe. Das Einzige, was ihr gelungen war, war, ein Trugbild zu erschaffen, für andere. Hatte sich diese Mühsal gelohnt? Hatte sie ihr Ziel erreicht?
    In einem Zug leerte sie das Glas. Taumelnd stand sie auf und wankte zur Glasvitrine. Ihre Finger zitterten, als sie das Gefäß erneut bis zum Rand füllte. Sie verschüttete etwas von der funkelnden Flüssigkeit, aber sie kümmerte sich nicht um die Flecken auf Lenas Teppich. Etwas fehlte ihr. Natürlich: Musik! Die Auswahl der CDs war nicht berauschend. Doch schließlich fand sie etwas nach ihrem Geschmack und legte Mozarts Requiem in den CD-Player ein. Die düstere Musik passte zu ihrer Stimmung. Was wäre Lenas Kommentar, wenn sie morgen von Nürnberg zurück käme? Würde die sie an die Luft setzen, weil sie dem Whisky wieder nicht hatte widerstehen können? Nein, das würde sie nie wagen. Da gab es einfach zu viel, was sie verband. Immer noch und für immer.
    Sie schloss die Augen und fing an, sich an ihren Traum heranzutasten, den sie sich für Momente wie diese bewahrte. Er verzauberte sie und machte sie gleichzeitig unsagbar traurig – und doch würde sie ihn nie aufgeben, so lange sie lebte. Jetzt konnte sie die beiden schon sehen, wie sie über die blühende Wiese am Waldrand liefen, wo sie nach ihren Bäumen suchen würden, für jede den Richtigen. Sie rannten und rannten, die eine fing die andere, sie lachten und prusteten. Ihre jungen Körper wälzten sich im Gras, die Gesichter glänzten vor Schweiß und Übermut. Vorwitzig tasteten sich die Sonnenstrahlen über zerzauste Haarsträhnen und brachten etwas Glanz in das stumpfe Braun. Das Schönste aber waren diese zarten Hände, die sich umfingen, als ob sie auf ewig zusammen gehörten, untrennbar …
    Ein Geräusch ließ sie auffahren. War Lena schon wieder zurückgekommen? Hatte sie etwas vergessen? Oder suchte sie eine klärende Aussprache anstelle von Vorwürfen und neuen Worten voller Hass?
    Sie wollte sich zur Tür umdrehen. Doch sie war nicht schnell genug. Der Schlag traf sie mit solcher Wucht am Kopf, dass sie sofort auf dem Sofa nieder sank. Ihr blieb keine Zeit mehr. Nicht einmal so viel, um verstehen zu können, dass dies das Letzte war, was sie spüren sollte.
    Hanna sah aus, als sei sie in reinstes Gold getaucht: Die tizianroten Locken schlangen sich wie ein glühender Lichterkranz um den Hinterkopf, dazu ein ockerfarbenes, mit glitzernden Fäden durchwobenes Kleid. Das hatte Lilian noch nie gesehen, es musste neu sein. An den Augen und am Dekolleté schimmerte Goldpuder. Und sogar in Hanna selbst schien
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