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Katzenhöhle

Katzenhöhle

Titel: Katzenhöhle
Autoren: Hildegunde Artmeier
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dazumal, zumindest Brad Pitt oder Jonny Depp, wenn schon Robert Redford und Humphrey Bogart nicht über den Bildschirm flimmerten. So hatte sie sich diesen freien Abend wirklich nicht vorgestellt. Resigniert drückte sie weiter. Die Klänge einer bizarren Musik ließen sie innehalten: dumpfe Trommelschläge, übertönt von eigenartig klingenden Violinen. Dazu tanzte eine Frau. Ein rauchfarbener Anzug klebte an ihr wie eine zweite Haut und ließ sie zart und zerbrechlich erscheinen. Hüftlange, schwarze Haare umfluteten sie wie ein dichtes Fell, in dem rote Strähnen aufblitzten und den Betrachter irritierten. Mit langsamen, ausdrucksstarken Bewegungen nahm die Tänzerin den ganzen Raum des Bühnenbildes ein. Auch das verwirrte auf den ersten Blick: Boden, Wände und Unmengen von schleierartigen Tüchern leuchteten in einem satten Orange. Jetzt wurden die Musiktöne lauter und wilder, und in gleicher Weise veränderte sich auch der Tanz. Die Frau sprang ausgelassen von einem Eck ins andere, schlug um sich, schnellte hier hin und dort hin. Ihre Haare peitschten über den Boden, sie schien zu fliegen.
    Fasziniert beobachtete Lilian die ungewöhnliche Ballettinszenierung. Es war eine Übertragung aus dem London Royal Theatre von Ende Januar. Der Reporter, der die Vorführung kommentierte, konnte seine eigene Verblüffung nicht verbergen. Seinen Worten zufolge handelte es sich um ein sehr umstrittenes Projekt, das ein erfolgreicher, als eigenwillig bekannter Ballettintendant inszeniert hatte. Der Künstler stammte aus Schottland und lebte seit einigen Monaten mit der Tänzerin zusammen. Das Musikstück war von einem zeitgenössischen Komponisten, dessen Namen Lilian unbekannt war. Sie war sich sicher, dass diese Aufführung sehr unterschiedliche Reaktionen bei Zuschauern und Kritikern hervorrufen würde. Genauso war es: Als der Vorhang fiel, mischten sich auch unwillige Stimmen unter die begeisterten Jubelrufe aus dem Publikum. Jetzt betrat der Maestro selbst die Bühne und nahm die Hände der schwer atmenden Balletttänzerin souverän in die seinen. Mit seinen langen, schneeweißen Haaren und dem schmalen Gesicht erinnerte er eher an einen intellektuellen Existenzialisten als an einen Ballettdirektor. Sein durchtrainierter Körper, der unter dem eleganten Anzug nicht ganz verborgen blieb, zeugte aber davon, dass der Mann bei praktischen Aspekten der Choreographie durchaus wusste, wovon er sprach. Er war ungewöhnlich groß, wodurch die Frau neben ihm noch graziler und winziger wirkte. In perfekter Manier verbeugten sich beide vor dem Publikum. Es war ihnen nicht anzusehen, ob die zwischendurch deutlich hörbaren, entrüsteten Rufe aus den Zuschauerreihen sie verunsicherten.
    »Was für ein Paar!« Der Reporter klatschte begeistert in die Hände. »Wenn man Cedric Ormond und seine Lieblingsdarstellerin Mira Scheidt so einträchtig nebeneinander sieht, kann man gar nicht glauben, dass an dem Gerücht von ihrer Trennung etwas dran ist. Allerdings rätselt man in Bühnenkreisen darüber, warum sich die kapriziöse Primaballerina seit ihrer letzten Aufführung nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt hat. Ob sie wohl genug hat von Cedric Ormonds amourösen Abenteuern mit diversen Ballett- und Theatersternchen, wie es ihr die bösen Zungen nachsagen? Ihre Agentin weist solche Spekulationen allerdings entschieden von sich.«
    Gerade betrat erwähnte Agentin mit strahlender Miene die Bühne und überreichte der Tänzerin einen Blumenstrauß. Das zarte Gesicht der jungen Frau verschwand hinter einem Meer aus gelben Rosen, dem Reporter zufolge die Lieblingsblumen der aus Deutschland stammenden Balletttänzerin. Lilian war sicher, dass sie den Namen der Ballerina schon einmal gehört hatte. Sie glaubte sogar, die Frau selbst in einem anderen Ballettstück gesehen zu haben. Aber in welchem? Auf jeden Fall in einem klassischen, vielleicht in ›Schwanensee‹ oder im ›Nussknacker‹. Wie ein Engel war sie über die Bühne geschwebt und hatte in Lilian Erinnerungen an die Ballettsäle ihrer Kindheit geweckt. Fast hatte sie gedacht, die unerbittliche Stimme ihres eigenen Ballettlehrers wieder zu hören: »Un, deux, trois … Knie durchdrücken! Auf die Haltung achten! Lilian, zieh den Bauch ein! Und lächeln! Nicht wie ein Pferd – wie eine Elfe! Nimm dir ein Beispiel an Helena!« Lilian hatte immer gewusst, dass sie niemals so leichtfüßig wie die zierliche Helena sein würde, von einer Elfe ganz zu schweigen. Dafür sorgten
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