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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition)
Autoren: Jürgen Magister
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wiederherzustellen. Was willst du mehr?“
    Lemming stand auf. Für die anderen ein Zeichen, es ihm gleichzutun. „Zeit zu gehen, Sando. In den nächsten Tagen bekommst du Bescheid, wann dich General Assadi holen lässt. Halte dich bereit!“
    Er nahm Sando den Umschlag mit dem ausgefüllten Formular aus der Hand. „Ich werde ihn zu treuen Händen übergeben.“
    „Bist du dir sicher, dass du es tun wirst?“, fragte Sando skeptisch.
    „Verlass dich drauf! Ich hätte es zwar lieber gesehen, wenn du den Kerl in den Hades geschickt hättest, aber es ist deine Entscheidung.“
    Sando nickte stumm. Doch ganz sicher war er nicht, ob er Mike vertrauen konnte. Er nahm sich fest vor, sich nach dem jungen Gotteskrieger zu erkundigen.
    Motoren brüllten auf.
    „Behalt uns in guter Erinnerung, wenn du in New York bist!“, schrie Lemming noch. Wenige Sekunden später waren die MATMANS Sandos Blicken entschwunden.
    Die Dämmerung hatte eingesetzt. Kühler Wind wehte durch das Flusstal. Sando zog die Lederjacke fester, doch die Kälte drang durch den Stoff seiner leichten Sommerhose. Ihn fröstelte. Er stand vor der Wahl, nach Hause zu gehen oder die Motorradmontur anzuziehen. Er entschied sich für Letzteres. Was sollte er zu Hause? Rasch streifte er das weiche, gefütterte Leder über, nestelte an den zahlreichen Knöpfen und Riemchen, bis die wärmende Hülle sicher saß. In der Hosentasche fand er einen Zettel. Sando entfaltete ihn. Er enthielt Mikes Adresse und die Worte: „Falls du Hilfe brauchst!“
    Sando musste lächeln. Irgendwie war ihm Lemming doch ans Herz gewachsen. Sorgfältig steckte er das Stück Papier weg und schloss die Jacke. Nun konnte ihm der Abendwind nichts mehr anhaben. So geschützt legte er sich rücklings ins Gras und beobachtete das allmähliche Aufleuchten der Sterne.
    Es ist das Werk eines Lampenanzünders, der allabendlich über den Himmel streift , dachte er.
    So ähnlich hatte er es einmal in einem Buch gelesen. Eine vage Erinnerung. Wie lange schon hatte er kein Buch mehr zur Hand genommen? Sein Leben hier in der zerstörten Stadt beschränkte sich auf das Notwendigste. Schlafen. Arbeiten. Essen. Einziger Luxus war für ihn die Zeit, die er hier am Fluss verbrachte. Es waren Stunden der Besinnung, die er dazu nutzte, an Maria zu denken oder an seine Gefährten Ben, Gregor und Djamila, die in eine andere, glücklichere Welt aufgebrochen waren. Immer wieder auch war er in Gedanken bei seiner Mutter, seinem Vater, wünschte inständig, dass die Trauer ihnen nicht das Leben zur Pein machte. Er dachte an Denise, die wieder genesen war und sich in Paris um ihren Vater sorgte. Sie alle fehlten ihm. Manchmal hatte er das Gefühl, zu verkümmern, weil er niemanden um sich hatte, der ihn verstand und mit dem er sich austauschen konnte. Die Begegnung mit Mike Lemming hatte er als Lichtblick empfunden und er nahm sich fest vor, in Kontakt mit ihm zu bleiben, ihn zu besuchen, ehe General Assadi ihn nach New York holen ließ.
    New York! Sandos Herz machte einen Sprung. Ihn reizte die Aussicht, in die Hauptstadt zu gehen, auch wenn er Lemming gegenüber etwas anderes behauptet hatte. Natürlich zog es ihn an den Brennpunkt des Geschehens. Ein Gedanke aber beunruhigte ihn: Was, wenn er Dresden verlassen müsste, ohne Maria gefunden zu haben?
    Inzwischen war Ruhe über der Stadt eingekehrt. Sando konnte nun sogar den Fluss hören. Leise plätscherte das Wasser über die Steine am flachen Ufer. Kleine Strudel gurgelten um Zweige, die von einer Weide herab im Wasser hingen. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund, quietschte eine Tür. Geräusche trugen nun kilometerweit.
    Während Sando lauschte, betrachtete er den Himmel. Er suchte nach Sternbildern, die er kannte: den Großen Wagen, Orion. Vielleicht würde Maria in diesem Moment ebenso aufschauen, das Gleiche sehen wie er? So abwegig dieser Gedanke auch war, gab er ihm doch das Gefühl, irgendwie mit ihr verbunden zu sein. Der Abendwind wehte einen Fetzen Musik heran. Klaviermusik. Sando seufzte. Irgendjemand musizierte noch in dieser zerstörten Stadt. Dieser Jemand schien die Töne eines vergessenen Stückes zu suchen, tastete sich vor, Intervall für Intervall. Immer wieder stockend.
    Was sollte das für ein Stück sein?
    Sando setzte in Gedanken die Bruchstücke zusammen. Das Ergebnis überraschte ihn. Wenn er sich nicht irrte, versuchte dort jemand, Chopin zu spielen. Die Finger des fernen Musikanten zerhackten das Stück, legten es in Trümmer wie
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