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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition)
Autoren: Jürgen Magister
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nieder schwang.
    Ihr steht alles, dachte Sando, sie könnte auch Omas Schürze tragen. Dass er eines Tages mit ihr durch ein unbekanntes Land reisen würde, hatte er nie zu träumen gewagt. Er erinnerte sich noch genau an den Moment, da Maria bei einem sonntäglichen Kaffeetrinken seinen Eltern ihre Reiseabsichten eröffnet hatte. Es war für ihn wie Geburtstag und Weihnachten gleichzeitig gewesen. „Sando ist vierzehn, sieht aus wie sechzehn und wird bald eigene Wege gehen“, hatte Maria wie beiläufig gesagt und mit abgespreiztem kleinem Finger ein Schlückchen aus der Mokkatasse geschlürft. „Er ist mein bester Schüler und, nicht zu vergessen, mein Patenkind. Um es kurz zu machen: Bevor er ganz flügge ist, würde ich ihn gern auf eine Reise nach Marokko mitnehmen.“
    Sandos Vater, der gerade ein Stück Kuchen aß, war vor Überraschung die Kinnlade offen stehen geblieben. Dann hatte er sich gefangen und den Bissen halb zerkaut hinuntergeschluckt. „Du als junge Frau … allein in einem arabischen Land?! Ob das eine gute Idee ist?!“
    Doch Maria hatte Sando zugezwinkert und mit einem entwaffnenden Lächeln erwidert: „Wieso allein? Ich habe doch einen Beschützer.“
    Und er hatte mit heiserer Stimme hinzugefügt: „Ich werde schon auf sie aufpassen.“
    Nun waren sie bereits einige Tage in Marokko unterwegs. Weit weg von seinen Eltern, weg von deren ständigen Ermahnungen und Kritteleien. Maria behandelte ihn wie einen Ebenbürtigen und Sando gab den Beschützer, stolz, der Begleiter einer solch begehrenswerten Frau zu sein. Jeden Blick, den sie auf sich zog, und es waren derer viele, beantwortete er mit finsterer Miene.
    „Ich wusste gar nicht, dass du so böse gucken kannst“, zog ihn Maria manchmal auf und Sando antwortete dann immer: „Ohne mich hätten sie dich längst auf dem Basar feilgeboten.“ Dann lachten beide lauthals.
    Marokko faszinierte Sando. Und Marias Gegenwart schärfte seine Sinne für das Neue und Fremdartige, dem sie auf Schritt und Tritt begegneten. Er saugte die Eindrücke förmlich auf, staunte auf den Märkten über die lauten Menschen in ihren langen Gewändern, aß merkwürdig gewürzte Speisen und weil Maria sie mit Genuss verschlang, schmeckten sie auch ihm.
    Nun fuhren sie mit dem Bus nach Makala, einer alten Stadt am Rande des Atlasgebirges, und er war gespannt auf den Sukh, den Basar, der noch unberührt sein sollte von den „Segnungen“ des Westens. Draußen wehte ein stürmischer Wind. Das erkannte Sando nicht etwa an den Zweigen der Sträucher. Nein, diese hart gesottenen Dinger waren nicht eben biegsam im Wind. Dass es stürmte, wurde deutlich an einer anderen Erscheinung, die das Bild der Landschaft prägte: Plastiktüten. Hunderte davon wehten durch diese Einöde.
    „Ein Riesenproblem!“, schnarrte die Stimme der Reiseführerin im Buslautsprecher. „Jede Tüte, irgendwo fallen gelassen, beginnt durch den ständigen Wind eine unaufhaltsame Wanderschaft. Und da sie nicht verrotten, werden es immer mehr.“
    Sando sah im Geiste eine Landschaft, die nur noch aus bunt bedruckten Plastiktüten bestand. Sie hingen in den Sträuchern, füllten die Täler, bedeckten die roten Berge – eine raschelnde Reklamewüste für alle Ewigkeit.
    Maria beugte sich über Sando hinweg in Richtung Fenster, um diese bedauerliche Erscheinung besser sehen zu können. Die Madonna baumelte dicht vor seiner Nase. Er atmete Marias Duft und wünschte sich, der fliegende Unrat würde ihre Aufmerksamkeit noch sehr, sehr lange in Anspruch nehmen. „Es ist ein Jammer“, sagte sie und lehnte sich wieder zurück.
    „Ja“, sagte Sando seufzend und das Bedauern in seiner Stimme klang echt.
    „Dagegen muss doch etwas unternommen werden!“, rief der Mann auf der Sitzbank vor ihnen. In seiner Stimme schwang die Gewissheit, dass es für jedes Problem auf der Welt eine einfache Lösung gab. Und entsprechende Vorschläge ließen nicht auf sich warten.
    „Die Plastiktüten verbieten“, rief einer.
    „Oder ein Pfand aufschlagen – wie bei uns das Dosenpfand“, mischte sich ein anderer ein. „Seit es das gibt, liegen die Blechdinger auch nicht mehr an jeder Eck…“
    Der Satz wurde nicht beendet. Der Bus bremste heftig. Reifen kreischten. Sando knallte mit dem Kopf an den Vordersitz. Er spürte, wie seine Lippe schmerzhaft anschwoll. Draußen hob hektisches Geschrei an, befehlende, kehlige Laute. Die Tür neben dem Fahrer sprang zischend auf. Vermummte Männer stürmten den Bus, ihre Waffen
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