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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition)
Autoren: Jürgen Magister
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her blies. Und die trieben ihren Schabernack ungeachtet des Busses, der da verloren in der marokkanischen Wüste stand. Launig dekorierten sie Büsche und Sträucher, klatschten auf die Windschutzscheiben vorbeifahrender Autos, deren Fahrer nichts von der Tragödie ahnten, die sich gerade in dem Bus am Straßenrand abspielte, und eine von ihnen, ein besonders prächtiges Exemplar mit dem grellbunten Werbeaufdruck einer großen Modekette, das wer weiß woher kam und wer weiß wer fallen gelassen hatte, traf den Bewaffneten am Kopf, verhüllte ihm just in dem Moment die Augen, da er Sando in Schach hielt.
    Dieses unerwartete Ereignis unterbrach jäh den Blickkontakt zwischen den beiden und der Schreck löste den Abzug aus.
    Es ist schon ein seltsames Gefühl, den eigenen Körper so leblos am Boden liegen zu sehen , dachte Sando. Er schwebte an der Decke des Busses und beobachtete, wie sich Maria um ihn bemühte. Sie hatte seinen Körper auf die Seite gedreht. Nun rollte sie ihre Jacke zusammen und schob sie unter seinen blutverschmierten Kopf.
    He, Maria, du verdirbst dir deine Jacke!
    Doch Maria reagierte nicht. Es tat ihm gut, zu sehen, wie sie sich um ihn kümmerte, während sich alle anderen im Bus ängstlich in die Sitze duckten und nicht wagten, sich zu rühren. Maria lief aufrecht durch den Gang, ungeachtet der bewaffneten Männer, die den Bus in ihre Gewalt gebracht hatten.
    Dass die Reise so enden muss , dachte Sando.
    Aus der Vogelperspektive beobachtete er, wie Maria eine Taschenlampe aus ihrem Rucksack holte und zu seinem leblosen Körper zurückkehrte. Sie beugte sich über ihn und berührte mit der Hand sein Gesicht. Ein wohliger Schauer durchlief ihn und eine mächtige Kraft zog ihn von der Decke des Busses zu seinem Körper hinab. Nun schwebte er dicht über seinem eigenen Kopf und konnte der Schönen direkt in die Augen sehen. In ihrem Blick lag Verzweiflung. Vorsichtig schob sie sein linkes Augenlid nach oben und leuchtete mit der Taschenlampe in die weite Pupille. Die reagierte nicht auf das Licht.
    Maria hob den Kopf und rief dem Vermummten zu, der an der Vordertür des Busses Wache hielt: „Er braucht einen Notarzt! Lassen Sie mich den Notarzt rufen!“
    Einen Notarzt? Wieso brauche ich einen Notarzt? Sando schwebte zu Maria und flüsterte ihr ins Ohr: „He … ich bin doch hier! Mach dir keine Sorgen …“
    Doch sie schien ihn nicht zu hören. Sie ging nach vorn zu dem Bewaffneten, der offenbar der Anführer war, und sagte eindringlich: „Den Notarzt! Bitte! Der Junge stirbt!“
    Was heißt hier sterben , dachte Sando. Ich fühle mich doch wunderbar leicht.
    Der Fremde sah Maria ungerührt an. Es dauerte einige Zeit, ehe er mit einem fremdländischen Akzent antwortete: „Sobald meine Brüder aus euren Gefängnissen entlassen sind, gebe ich die Geiseln frei.“
    „Aber das kann dauern!“, sagte Maria. „Der Junge braucht sofort Hilfe! Geben Sie mir das Telefon, bitte!“
    Wie aus dem Nichts tauchte ein zweiter Geiselnehmer auf. Es war der Junge, der auf Sando geschossen hatte. In seinem Blick lag Unsicherheit, vielleicht war es auch Bedauern. Schweigend reichte er Maria ein Telefon. Sie griff danach. Dankbar. Doch der Ältere kam ihr zuvor. Ein kurzer Schlag und das Telefon polterte zu Boden. Maria schrie erschrocken auf. Gleichzeitig drangen harte arabische Worte durch das Tuch des vermummten Anführers. Laut, befehlend. Der Junge duckte sich ängstlich weg und verschwand durch den vorderen Busausgang. Daraufhin fasste der Fremde Maria ins Auge. Einige Augenblicke weidete er sich an ihrem flehenden Blick, eher er leichthin sagte: „Wenn er stirbt, hat es Allah so gewollt.“
    Maria stand da wie vom Donner gerührt. In ihren Augen sammelten sich Tränen.
    He, schöne Maria, mach dir nichts draus! Ich werde es schon schaffen. Sieh doch her! Mir geht es gut.
    „Aber er ist doch noch ein Kind“, sagte Maria, um Mitleid flehend.
    Die Antwort des Fremden kam prompt und in seinen schwarzen Augen blitzte es. „Ein Ungläubiger! Ein kleiner Kreuzritter!“ Er umfasste seine Pistole so fest, dass die Knöchel weiß aus dem Handrücken ragten.
    Was redet der da? He, Maria, weißt du, wovon der Kerl spricht? Kreuzritter? Was hat das mit mir zu tun? Wieso bin ich ein Kreuzritter?
    Maria zitterte am ganzen Körper. Fassungslos stand sie vor dem Mann, der sich anmaßte, über Leben und Tod zu entscheiden. Und dann handelte ihr Unterbewusstsein, jene dunkle Seite des Menschen, die im Zweifel schneller
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