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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition)
Autoren: Jürgen Magister
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erschöpft auf die Knie fallen. Das dumpfe Geräusch scheuchte zwei große Vögel auf, die sich mit schwerfälligem Flügelschlag in die Luft erhoben, um einige Meter weiter in sicherer Entfernung wieder zu landen.
    „Aasfresser“, murmelte Sando und ihn schauderte vor der Aussicht, von ihren scharfen Schnäbeln zerrissen zu werden.
    Doch noch war ihm ein Rest an Kraft geblieben. Er erreichte den Busch und trotz seiner Schwäche, trotz des quälenden Durstes musste er lachen. Es war sein erstes Lachen in diesem anderen Leben, ein heiseres Lachen, erfüllt mit wahnsinniger Trauer, ein Lachen, in dem seine Ängste mitschwangen, seine Verletzungen, die er nie würde vergessen können, solange er Schmerz empfand und also lebte: Sein Lachen galt der blauen Plastiktüte, die sich in dem Strauch verfangen hatte.
    Er pflückte sie vom Zweig und bemerkte einen silberfarbenen Aufdruck: der Umriss eines Menschen mit einem Kometenschweif, ein Symbol, dessen Bedeutung er nicht entschlüsseln konnte. Die Tüte flatterte geräuschvoll in seiner Hand und er wollte sie schon dem Wind übergeben, als er fühlte, dass etwas darin steckte. Irgendein kleiner, harter Gegenstand. Vielleicht ein Stein? Mit zitternden Fingern öffnete er den Beutel. Was zum Vorschein kam, sah aus wie ein Hühnergott, ein von Meereswellen flach geschliffener Stein mit einem Loch in der Mitte, der als Glücksbringer galt und nach dem Kinder und Verliebte gern die Strände absuchten. Doch es gab einen entscheidenden Unterschied: Dieser Hühnergott war nicht aus Stein, sondern aus einem rätselhaften Metall, das in allen Regenbogenfarben schimmerte. Schön anzuschauen. Vielleicht ein Schmuckstück? Oder ein Glücksbringer in dieser unbekannten Welt?
    Sando ließ den rätselhaften Hühnergott in seine Hosentasche gleiten und es gab ein klickendes Geräusch, als ob Metall auf Metall traf. Der Junge stutzte und ließ die blaue Tüte mit dem silbernen Kometenmenschen los. Sofort ergriff sie der Wind und trug sie fort. Sando achtete nicht darauf, denn er konnte nicht ahnen, dass ihn dieses nichtsnutzige Ding noch einmal in gefährliche Verwicklungen stürzen würde. Im Moment interessierte ihn allein das Geräusch in seiner Hosentasche. Sollte tatsächlich …?
    Mit klopfendem Herzen griff er hinein und als er seine Hand wieder herauszog, lag darin neben dem Hühnergott das Medaillon mit der Madonna.
    Diese plötzliche Wiederbegegnung mit Maria trieb ihm die Tränen in die Augen.
    Er ließ es zu. Hier war ja keiner, der ihn beim Weinen hätte ertappen können. Nur diese Aasfresser in sicherem Abstand – aber vor denen schämte er sich nicht. Er heulte und drückte das Medaillon an seine Wangen und als es sich unversehens öffnete, steckte er den Hühnergott in das Geheimfach. Er passte hinein, wie dafür geschaffen. Sando nahm es als ein Zeichen. Er schloss das Medaillon wieder, hängte es sich um und schob es unter sein Hemd auf die nackte Haut. Ein wenig fühlte er sich nun getröstet.
    Noch immer kniete er vor dem Strauch. Die Aasvögel lauerten. Er konnte sie gut beobachten, denn die Sonne stand tief in seinem Rücken. Sein langer Schatten reichte fast bis hin zu diesen Kreaturen.
    Plötzlich war da ein zweiter Schatten, der den seinen überdeckte, rasch anwuchs und die Umgebung verdunkelte. Sollte die Sonne so schnell hinter dem Hügel in seinem Rücken verschwunden sein? Unvorstellbar!
    Sando drehte sich um und traute seinen Augen nicht: Der Kopf einer riesigen Echse lugte über die Hügelkette. Sie drehte ihre Kugelaugen wie ein Chamäleon in seine Richtung. Dann folgte ein schweres, dumpfes Geräusch. Das Monster hatte sich in Bewegung gesetzt! Langsam erschien nun auch sein Körper über dem Horizont. Das Tier wuchs und wuchs. Seine Schuppen glänzten wie Spiegel in der Sonne. Sando stand da wie versteinert. Er konnte seinen Blick nicht von der gleißenden Echse abwenden, deren Augen ihn starr fixierten.
    Als das Ungeheuer in voller Größe vor ihm stand, hatte er den Kopf in den Nacken gelegt und schaute zu ihr auf wie zur Kuppel in einer Kathedrale. Sein Kopf war völlig leer. Er empfand nichts.
    Hinter ihm krächzte es, ertönte ein klatschendes Flügelgeräusch. Offenbar wollten die beiden Aasvögel das Weite suchen. Die Augen des Chamäleons gerieten in Bewegung. Ein jedes verfolgte den Flug eines der Vögel. Und dann ging alles so schnell, dass es Sando kaum erfassen konnte: Aus dem Maul des Ungeheuers schnellte eine endlos lange Zunge. Mit
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