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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition)
Autoren: Jürgen Magister
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aufgescheuchter Fisch im Aquarium. Der Nebel geriet plötzlich in Wallung.
    „Na also! Es geht doch!“, schrie Sando mit einer Mischung aus Euphorie und Galgenhumor.
    Kleine Wirbel entstanden und bekamen ein Eigenleben. Sandos Seele wurde hin und her geschleudert. Der Nebel schien zu kochen. Der Junge hatte offensichtlich etwas angestoßen, was er nun nicht mehr beherrschen konnte. Bald vereinigten sich die unzähligen Wirbel zu einem großen Strudel. Dieser erfasste Sando, sog ihn mit unwiderstehlicher Kraft in die Mitte und drehte ihn geschwind wie einen Kreisel. Die harmonischen Töne wurden zu einem dumpfen Brausen. Der rasende Trichter zog sich immer enger um Sandos Seele zusammen. Der Nebel verdichtete sich und verklumpte zu einer unförmigen Masse. Sando konnte nicht erkennen, dass diese Masse allmählich die Gestalt eines menschlichen Körpers annahm, zu schnell war das Kreiseln, zu stark die Übelkeit, die ihn dabei überkam.
    „Aufhören!“, schrie er.
    Doch es hörte nicht auf.
    Wie sollte es auch? Es braucht seine Zeit, bis ein Mensch geformt ist mit all seinen Feinheiten. Der richtige Gesichtsausdruck zum Beispiel, da müssen die Proportionen zwischen Nase, Mund und Augen schon stimmen. Oder die feingliedrigen Hände, deren Fingerbeeren ganz individuelle Muster aufweisen – sie wollen sorgfältig gestaltet sein. Und nicht zu vergessen das Innenleben: Die Organe sollten vollzählig und fachgerecht vernetzt sein, eine vergessene Leber oder ein falsch angeschlossenes Herz, was wäre das für ein Leben? Und die Psyche erst, die Eigenheiten des Charakters, seine Fähigkeiten – der Mensch ist ein höchst komplexes Wesen und Ungeduld bei seiner Schöpfung unangebracht.
    Doch irgendwann läuft jede Töpferscheibe aus, ist das Werk vollendet.
    Das Kreiseln verlangsamte sich. Die Blase zerplatzte mit einem leisen Plopp und Sando fiel bewusstlos zu Boden. Sein Gesicht schlug in heißen Sand.

DIE ANKUNFT
    Ein lautes Krächzen weckte ihn. Vielleicht auch dieses Brennen in den Augen oder der mörderische Durst. Mühsam setzte sich Sando auf. Seine Glieder schmerzten.
    Glieder? Schmerzen? Langsam dämmerte es ihm, dass er wieder einen Körper hatte. Deutlich spürte er das Herz schlagen. Staunend betrachtete er seine Hände, seine Beine, die der Wind fast völlig mit Sand zugeweht hatte. Alles schien an seinem Platz zu sein. Er betastete den Kopf. Die Schussverletzung war verschwunden. Ein Wunder!
    Kraftlos ließ er die Hände in den Schoß sinken. Er spürte Stoff zwischen den Fingern. Seine Kleidung. Erstaunt stellte er fest, dass es dieselbe war, die er im Bus getragen hatte. Doch viel wichtiger: Er konnte atmen! Vorsichtig sog er Luft in die Lungen. Flirrend heiße Luft. Die Sonne kochte den Planeten.
    War das die Erde?
    Keine Ahnung. Er wusste nur, dass seine Augen voller Sand waren und brannten wie die Hölle, dass seine Lippen rissen wie ein ausgetrocknetes Flussbett und dass da etwas krächzte hinter dem dürren Busch mit den harten, grünen Blättern. Warteten dort Geier auf den Tod des Verdurstenden in der Wüste?
    Jetzt keine Schwäche zeigen , dachte Sando. Ich werde mein Leben so teuer wie möglich verkaufen.
    Leben? War er denn am Leben?
    Die Frage verwirrte ihn, schwächte den Impuls, aufzustehen.
    Dann sagte er sich: Tote spüren keinen Schmerz, also lebe ich – wie diese Welt auch immer heißen mag: Jenseits, Paradies oder angesichts dieser Sonnenglut eher Hölle. Egal.
    Er wühlte seine Beine aus dem Sand und stand mühsam auf. Als er nach einigem Schwanken endlich sicher war, dass sie sein Gewicht hielten, sah er sich um. Neben ihm lag ein großes, seidig glänzendes Etwas, das aussah wie ein zu Boden gegangener Fallschirm. Darüber waberte die Luft. Die Überreste dieser merkwürdigen Blase, in der ich gefangen war , dachte Sando und ließ seine Blicke weiter schweifen. So weit das Auge reichte: rote Erde und grüne Punkte. Es war, als wäre er gerade aus dem Bus nach Makala gestiegen.
    Der Busch in seiner Nähe, derselbe, von dem das Krächzen gekommen war, lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Da war etwas Blaues, etwas, was da nicht hingehörte, nicht in diese Landschaft passte. Sando wollte es sich aus der Nähe anschauen, doch sein Körper war so schwach, dass es ihn große Mühe kostete, ein Bein vor das andere zu setzen. Der Weg, ein paar Schritte nur, erschien ihm entsetzlich weit. Wenn er nur etwas zu trinken hätte!
    Als er endlich an dem Strauch angelangt war, ließ er sich
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