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Karwoche

Karwoche

Titel: Karwoche
Autoren: Andreas Föhr
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reagieren. Das Letzte, was Kreuthner sah, war das Gesicht des entgegenkommenden Fahrers. Auch wenn es in der gegebenen Situation letztlich egal war, musste Kreuthner denken: ausgerechnet der!
     
    Just zu dem Zeitpunkt, als Kreuthner und Kilian Raubert sich ein erbarmungsloses Wettrennen vom Achensee zum Tegernsee lieferten und die beiden Kontrahenten Seite an Seite mit bedenklichen einhundertfünfzig Kilometern pro Stunde die Landstraße hinabschossen, waren Kriminalhauptkommissar Wallner und Vera auf der gleichen Landstraße unterwegs, in entgegengesetzter Richtung und mit einer den Verhältnissen angepassten Geschwindigkeit von neunzig Kilometern pro Stunde.
    Wallner war in euphorischer Laune, denn er war verliebt. Ganz unvorsichtig und ohne Kompromisse hatte er sich im Herbst auf die LKA -Kollegin mit den kastanienbraunen Locken eingelassen. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass er sich zu einer Frau so ohne Vorbehalte bekannte. Jetzt waren sie auf dem Weg in ihren ersten gemeinsamen Urlaub an den Gardasee.
    Auf der Straße zum Achensee war weniger Verkehr, als Wallner befürchtet hatte. Das Tal lag schon im Schatten. Weiter oben brannte die Nachmittagssonne dieses ersten Frühlingstages Löcher in den Schnee. Endlich ging es dahin mit dem Winter, der dieses Jahr kein Ende hatte nehmen wollen. Während er Veras Hand hielt und sie darüber sprachen, an welcher Raststätte hinter dem Brenner sie den ersten Cappuccino trinken sollten, fuhr Wallner in eine langgezogene Rechtskurve. Die Straße vor ihm war leer, soweit man sie einsehen konnte. Mit einem Mal vermeinte Wallner, das Geräusch von Motoren mit hoher Drehzahl zu hören. Gleich darauf sah er einen weißen Lieferwagen mit atemberaubender Geschwindigkeit entgegenkommen. Neben dem Lieferwagen, auf Wallners Spur, ein roter Passat, wie Kreuthner einen fuhr. Adrenalin überschwemmte Wallners Körper. An Wallners Seite schrie Vera mit ungewohnt schriller Stimme: »Pass auf!« Aber selbst mit einer Vollbremsung hätte Wallner den Zusammenstoß, der vernichtend sein würde, nicht verhindern können.

Kapitel 2
    M ach die Tür auf!«, sagte Kreuthner mit um Festigkeit bemühter Stimme. »Sonst mach ich sie selber auf.«
    Statt einer Antwort schnappte und ratschte es. Der gedrungene Mann in grauer Skihose vor dem Heck des Lieferwagens hatte mit einem Mal ein Messer in der Hand. »Versuch’s!«, sagte der Mann mit versagender Stimme. Er zitterte, Schweiß stand ihm auf der Oberlippe, die dunkelblonden, talgigen Haare klebten an den Schläfen, unter den Achseln seines langärmligen Skiunterhemds hatten sich pizzagroße Schweißflecken gebildet. Er war untersetzt, halslos, bauchig. In den Augen: Angst und Wut.
    »Kilian! Tu das Messer weg. Tickst jetzt aus oder was?«
    Kilian Raubert starrte Kreuthner voller Hass an.
    »Jetzt mach halt die Kist’n auf, verdammt! Was soll denn das?«
    »Ich lass mich einfach nimmer verarschen von dir. So schaut’s aus.«
    »Ich fordere dich ein letztes Mal auf, den Laderaum zu öffnen!«
    »Sonst …?«
    Kreuthner wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er trug ebenfalls eine Skihose mit Hosenträgern, einen farbenprächtigen Fleecepullover und Adiletten. Kreuthner musste schnell entscheiden. Die Verhältnismäßigkeit abwägen, auch ein bisschen, dass er die Situation mitverursacht hatte. Ein Messer (scharf, wie es schien), ein aggressiver Mann, vollgepumpt mit Testosteron, Adrenalin und Empörung – unberechenbar. »Na gut.« Kreuthner hob beide Handflächen langsam in Richtung Raubert. »Ist ja net so wichtig. Zeigst mir halt das nächste Mal, was du im Wagen hast.«
    »Das meinst du hoffentlich nicht im Ernst«, mischte sich Wallner ein. Der stand zwei Meter von Kreuthner entfernt mit Vera an seinem Wagen und trug trotz des milden Wetters wie gewohnt seine Daunenjacke. Noch war er nicht am Gardasee in der Wärme, nach der er sich so sehnte. Und selbst am Gardasee konnten die Abende um diese Zeit so kühl werden, dass einer, der wie Wallner an innerer Kälte litt, seine Daunenjacke brauchte. Kreuthner drehte sich verunsichert zum Kommissar.
    »Du kannst doch bei einer Kontrolle nicht verhandeln. Wenn du sagst, er soll den Wagen aufmachen, dann macht er den Wagen auf.«
    »Dann mach du doch weiter«, schlug Kreuthner vor.
    »Ich denk ja gar nicht dran. Du hast den Mann angehalten. Jetzt zieh’s durch.«
    »Komm, hör auf. Das schaukelt sich doch nur unnötig hoch.« Vera streichelte Wallner beschwichtigend über den
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