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Karma Girl

Titel: Karma Girl
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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schien eine seltsam blasse Hand mein Kinn zu streicheln. Meine erste, völlig unlogische Erklärung war, dass Gwyn mir meinen verlorenen Führerschein zurückgab. Aber ich besaß gar keinen Führerschein.
    Unter dem Foto war eine Unterschrift, die mehr nach Gwyns geschwungener Handschrift aussah (mit einem Kreis als I-Punkt) als nach meiner mikroskopisch kleinen Schreibe. Schnell überprüfte ich den Rest auf der Karte. Dimple Rohitbhai Lala. Okay. Lancaster Road, Springfield, New Jersey, Postleitzahl. Okay. Geschlecht: weiblich. Okay. Größe: 1,57 m – na ja, eigentlich ein Meter achtundfünfzig, und mir wäre es lieber gewesen, wenn man das noch einmal aufgerundet hätte, aber gut. Kraftfahrzeug Klasse D; Sozialversicherungsnummer. Geburtstag (übermorgen) und – monat (dieser). Geburtsjahr – was war denn damit los? Das Geburtsjahr war um vier Jahre nach hinten versetzt. Es musste sich hier um eine geklonte Vorgängerin von mir handeln.
    »Ein gefälschter Ausweis!«, rief ich.
    Jetzt erkannte ich das Foto wieder: Es war eins aus der Serie, die wir gemeinsam in einem Fotoautomaten gemacht hatten. Gwyn hatte damals auf diese Fotos bestanden, es schien schon eine Ewigkeit her zu sein. Beim letzten Foto hatte sie mich auf ihren Schoß gesetzt und mein Gesicht mit ihrer Hand direkt vor die Linse gehalten (was die blassen Finger auf dem Bild erklärte). Und sie hatte entschieden, alle Fotos zu behalten, da ich ge nug eigene mit Chica Tikka knipsen würde.
    Gwyn sah ziemlich zufrieden mit sich aus. Das lilafarbene Bündchen ihres Rocks wirbelte hoch, als sie fröhlich eine kleine Pirouette drehte.
    »Hat Dyl gemacht«, grinste sie. »Und gleich morgen Abend werden wir ihn benutzen. Es gibt nämlich viel zu feiern: Du hast Geburtstag, wir haben Ferien, der ganze Sommer liegt vor uns – und natürlich: dein Date .«
    »Mein Date ?«
    Sie ließ mich ein bisschen zappeln, dann konnte sie es selbst nicht länger abwarten.
    »Erinnerst du dich an Julian Rothschild? Er war Dylans bester Freund auf unserer Schule und hat im selben Jahr seinen Abschluss gemacht.«
    Ob ich mich an Julian Rothschild erinnerte? Selbstverständlich tat ich das! Schließlich ging es um den von allen Mädchen angehimmelten Julian Rothschild, der seit kurzem Student an der New York University war. Die Mädchen hatten schmachtend über ihn in der Bibliothek getuschelt, wo er Bücher von Autoren mit unaussprechlichen Namen wie Deleuze oder Derrida las. Julians Locken fielen ihm bis in den Nacken, er trug die Haare ein kleines bisschen kürzer als Dylan. Er hatte Cowboystiefel aus grünem Eidechsenleder; Dylan aus Schlangenleder. Und er war Atheist oder was ähnlich Cooles (Dylan war Agnostiker, was natürlich noch cooler war, weil niemand genau wusste, was das eigentlich bedeutete). Man konnte also sagen, dass Julian Dylans nicht ganz so großer, nicht ganz so süßer, nicht ganz so schlauer Freund war – also im Grunde wie gemacht für Gwyns nicht ganz so charismatische Freundin (mich) –, doch in meinen Augen hatte er so ziemlich alles, um als waschechtes Sexsymbol durchzugehen, und dass er auf der New York University war, setzte noch eins drauf. Jedes Mädchen war verliebt in ihn. Das reichte mir als Argument schon vollkommen aus.
    »Ja, ich glaube, ich kann mich duuunkel an ihn erinnern«, sagte ich und konnte ein Grinsen nicht verbergen.
    »Nun, dann hoffe ich, dass dir gefällt, an was du dich erinnerst – denn morgen Abend gehört er ganz dir!«
    »Aber er weiß doch noch nicht mal, wer ich bin.«
    »Oh, glaub mir: Er weiß, wer du bist. Ich hab ihm gesagt, du seist das indische Mädchen. Ich meine, das indische Mädchen.«
    Na gut, das schränkte die Möglichkeiten wohl ziemlich ein.
    »Dimple«, sagte sie bestimmt. »Das ist ein neuer Ausweis. Du kannst von jetzt ab sein, wer du willst. Du kannst sogar alles sein, was du nicht sein kannst.«
    Sie ließ mich das kurz überdenken, während sie ihren doppelt gelochten Schlangenledergürtel justierte, damit er ihr lässig von der schmalen Hüfte herabhing. Sie schien nicht ganz Unrecht zu haben. Dies war meine Gelegenheit, eine neue, ältere, reifere, witzigere, weißarmige Dimple Lala zu werden. Und vielleicht konnte diese Dimple wirklich all das sein, das ich nicht sein konnte.
    »Denk drüber nach«, sagte Gwyn. »Ich muss die Düse machen, Dyl wartet schon. Du machst jetzt schön einen auf Familie oder was ihr heute so macht. Aber morgen Abend – morgen Abend gehört uns!«
    Es war der
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