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Karma Girl

Titel: Karma Girl
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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Ein paar Fotos hatte ich noch auf dem Film. Die ganze Woche über hatte ich Schwarz-Weiß-Filme voll geknipst, und zwar immer in der Zeit, in der ich noch in der Schule rumhing, während sich Gwyn mit Dylan Reed traf, mit dem sie seit einer Ewigkeit an den Lippen zusammengewachsen schien.
    Ich war am Ende des Schuljahres unverhältnismäßig nostalgisch geworden, allerdings nicht nur der lustigen, sondern – verrückterweise – auch der unglücklichen Zeiten wegen, und hatte in den leeren Fluren, Toiletten und Klassenzimmern ein Foto nach dem anderen geknipst. Aber was immer ich gerade fotografieren wollte – sobald Gwyn auftauchte, sprang sie vor die Kamera, wie magnetisch von der Linse angezogen. Genau das erwartete ich auch jetzt und nahm schon mal die Kappe vom Apparat, um ihren Auftritt auf Zelluloid festzuhalten. Aber sie kam nicht.
    Ich schulterte meinen Ranzen und fragte mich, ob sie unser Meeting vergessen und sich stattdessen mit Dylan getroffen hatte. Durch die Kameralinse beobachtete ich die Freude der anderen Schüler. Selbst Leute, die sonst kaum etwas miteinander zu tun hatten, umarmten sich fröhlich, begleitet vom Klacken der Spindtüren, und wünschten sich gegenseitig schöne Ferien. Sogar Jimmy Singh, der eigentlich Trilok hieß, nickte diskret unter seinem Turban, als er zur Tür hinausschritt.
    Ich musste mich nicht sonderlich anstrengen, um den Spion zu geben. Glücklicherweise habe ich die Fähigkeit, unsichtbar zu wirken, was ziemlich nützlich ist, wenn man Einblicke in das Leben anderer bekommen möchte, aber gleichzeitig ziemlich merkwürdig, wenn man bedenkt, dass ich eine von nur zwei Indern auf unserer Schule bin. Der andere ist der soeben erwähnte Jimmy (Trilok) Singh, der seine ethnische Herkunft derart zur Schau stellt – mit seinem Turban und dem silbernen Armreif –, dass ich den Eindruck habe, viele von unserer Schule bemerken gar nicht mehr, dass wir dieselben Wurzeln haben. Aber ich tat ohnehin mein Bestes, diese Herkunft herunterzuspielen. Schließlich rief jeder an dem Tag, an dem ich mit geflochtenen Haaren in die Schule gekommen war: »Hey, Pocahontas«, und stimmte ein lächerliches Indianergeheul an. Jeder vernünftige Mensch hätte sich danach sofort eine Dauerwelle machen lassen.
    Gwyn hatte mich zur Dauerwellen-Prozedur begleitet. Sie agierte ziemlich häufig als mein persönlicher Stylist, wodurch meine Herkunft schrittweise immer stärker verschleiert wurde (Gwyn hatte mich zum Beispiel auch zum Kauf der zu engen Wackelpumps überredet, auf denen ich nun herumeierte). Es war sogar so, dass ich häufiger für eine Mexikanerin gehalten wurde als für eine Halb-Mumbaierin (ein ethnischer Status, der einst als Halb-Bombayerin bekannt war). Aber sosehr ich mich auch anpasse, manchmal falle ich durch meine bloße Herkunft doch auf, zum Beispiel als ich nach der Hochzeit von Tante Hush-Hushs Sohn die ganze Nacht versuchte, mir die Henna-Farbe von den Händen zu schrubben, weil Mrs Plumb beim Kuchenessen felsenfest davon überzeugt war, dass ich Hautausschlag hätte.
    Ich glaube nicht, dass es immer schon so war. Meine Fähigkeit – oder mein Verlangen – unsichtbar zu wirken, meine ich. Wieder bilde ich mir ein, dass es um meinen Geburtstag herum begann. Und zwar an meinem letzten Geburtstag, der auf zwei Tage genau vor einem Jahr stattfand und an dem ich süße sechzehn wurde und niemanden zum Küssen hatte, weil an diesem Nachmittag Bobby O'Malley kurzerhand und ohne viel Brimborium nach der Schule mit mir Schluss gemacht hatte. Ich schätze mal, man kann es ihm nicht wirklich übel nehmen. Ich meine, er hatte schlicht vergessen, dass ich Geburtstag hatte; er hatte es also nicht aus einem besonders gemeinen Impuls heraus getan. Er hatte es nur aus einem ganz normalen gemeinen Impuls heraus getan. Es war der Beginn eines ziemlich fiesen (und heißen) Sommers: den Kopf im Kühlschrank, das Herz in der Mülltonne. Und als das Schuljahr begann, konnte ich es zuerst kaum erwarten, dass es wieder vorbei war. Denn dann würde ich Bobby nicht mehr bei den ganzen Tanzveranstaltun gen begegnen. Gwyn hatte darauf bestanden, dass wir dort hingingen. Um es ihm mal so richtig zu zeigen. Aber das endete nur damit, dass er es mir zeigte, weil er jedes Mal mit einem anderen Mädchen der Sorte »Noch dün ner, noch hübscher, noch blonder« auflief. Und die hatten nichts anderes im Sinn, als ihm durch seine irischen Locken zu wuscheln und seine Sommersprossen mit ihren Lippen zu
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