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Karma Girl

Titel: Karma Girl
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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zählen. Dass sie auch noch makellose, vollkommen unbehaarte Haut hatten, versteht sich von selbst. Mein Notendurchschnitt sank dramatisch, größtenteils wegen Mathe, wo ich zu allem Unglück neben Bobby sitzen musste (bei der Platzauslosung war O für O'Malley neben L für Lala gelandet). Dafür stieg mein Körpergewicht umgekehrt proportional auffallend an. Gwyn war die ganze Zeit der Meinung, meine Waage würde nicht richtig funktionieren, was nett von ihr war, aber es handelte sich um eine astreine Arztwaage, die mein Vater aus der Praxis mitgebracht und deren Funktionstüchtigkeit ich extra mit zwei 3-Kilo-Hanteln, die unter meinem Bett Staub fingen, überprüft hatte.
    An jenem Tag also lief ich wie benebelt Richtung Bus. Gwyn, die zu der Zeit schockierenderweise keinen Freund hatte, hatte einen Sitz für mich freigehalten, ich setzte mich neben sie und flüsterte: »Bobby O'Malley hat gerade mit mir Schluss gemacht.« Ihre Kinnlade klappte runter, und ich sah, wie das rosafarbene Kaugummi auf ihrer Zunge nach vorn glitt. Gwyn reagierte schnell und schluckte es einfach runter.
    »Dimple Lala, ich werd dir was sagen«, raunte sie. »Das ist das beste Geburtstagsgeschenk, das dir B.O. überhaupt hätte machen können.«
    Die ganze Fahrt über zählte sie die 101 wichtigsten Gründe auf, warum Bobby von Anfang an nicht gut genug für mich gewesen war (ungerade Zahlen gelten in Indien als Glück bringend und Gwyn war zu einer glühenden Anhängerin dieses Glaubens geworden). Freundlicherweise verzichtete sie bei ihrer Aufzählung darauf zu erwähnen, dass Bobby eigentlich heimlich in sie verliebt war.
    Währenddessen musste ich die ganze Zeit an unsere fast einhundert Küsse denken, vom ersten unsicheren am Mirror Lake, der unsere Wohngegenden voneinander trennte, bis zum achtundneunzigsten mitternachts unter der Spielplatzschaukel. Und an all die So hab ich mich noch nie gefühlt – Bekundungen, die wir auf dem Spielplatz ausgetauscht hatten. Dann kam dort im Bus plötzlich das Gefühl hinzu, dass für immer eigentlich ein Verfallsdatum besaß, so wie eine Tüte Milch, und einfach ablaufen konnte, wenn man es am wenigsten erwartete.
    Seitdem erinnerte mich jede überfällige Milchpackung an andere traurige Begebenheiten, und die wiederum erinnerten mich an noch länger zurückliegende traurige Begebenheiten – was vielleicht meine unvermittelte Traurigkeit am heutigen letzten Schultag erklärte, meinem letzten Tag in der Mittelstufe. Es war auch wirklich ein schwieriges Jahr gewesen, nicht nur schulisch oder liebestechnisch. In diesem Jahr war auch mein Dadaji ge storben, und zwar bevor einer von uns ihn noch einmal hatte besuchen können. Meine Erinnerung an Indien wurde dadurch noch verschwommener, als sie es ohnehin schon war, während meine Mutter nach dem Begräbnis mit wieder aufgefrischtem indischen Akzent aus Bombay zurückkam, begleitet von der Überzeugung, dass sie ihr Land nie hätte verlassen sollen, und dem Wunsch, dass sie mich gerne »in festen Händen« sehen würde – was auch immer das heißen mochte.
    Ich schaute gerade durch den Sucher, um die Innenseite der Spindtür zu fotografieren, als plötzlich aus dem Nichts eine vertraute Stimme erklang.
    »Ist das etwa meine Zwillingsschwester, die da wartet?«
    Marilyn Monroe tauchte im Gang auf, ich hatte sie direkt vor der Linse: die Königin der dramatischen Auftritte, in einer Hand die Lunch-Box, eine Sonnenbrille ins wasserstoffblonde Haar gesteckt, blauer Minirock über einer Netzstrumpfhose, dazu ein schwarzes Top mit einem Herz in einem Herz auf der Brust. Während sie herüberstolzierte, fächelte sie sich mit einem großen silbernen Umschlag Luft zu. Sie reichte ihn mir mit lässigem Blick. Mit einem Textmarker hatte sie Für das Geburtstagskind! darauf geschrieben.
    »Was ist da drin?«, fragte ich und prüfte den Umschlag vorsichtig mit den Fingern. Man konnte etwas Kleines, Quadratisches durchs Papier fühlen, das in dem Umschlag hin und her rutschte.
    »Sieh selbst nach«, sagte Gwyn.
    Ich riss den Umschlag auf und ein Stück Plastik fiel mir in die Hand. Auf der einen Seite war ein schwarzer Streifen, daneben ein Text, in dem es irgendwie um »Kraftfahrzeuge« ging, und außerdem ein Organspender-Stempel. Ich drehte das Ding um und blickte auf: mich!
    Erst war ich ziemlich verwirrt. Es war ganz eindeutig ein Foto von mir – meine Haare ein Wirrwarr wie eh und je, meine braunen Augen weit aufgerissen wie auf jedem Foto. Allerdings
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