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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
Autoren: Johannes Fried
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kirchliche Norm hinwegzusetzen. Seine Ehen beispielsweise befolgten in keiner Weise das geltende Kirchenrecht; sie verstießen eklatant dagegen.
    Karls Religiosität entsprach der seiner Zeit. Er glaubte, was und wie es ihm seine kirchlichen Berater – Päpste, Bischöfe, Äbte und Kleriker – nahelegten und lehrten. Die Glaubenshorizonte seiner Umwelt waren auch die seinen. Das gestattet, von dieser mit einiger Vorsicht auf Karl selbst und die Prägungen seiner Kindheit zurückzuschließen. Er achtete sein Leben lang auf die Einhaltung der religiösen Riten und der Gebote der Religion. Er erwarb Reliquien und verehrte sie. Er achtete zugleich darauf, daß der verbreitete Reliquienschwindel nicht überhand nahm; ihre Echtheit bewiesen Reliquien dadurch, daß sie Wunder wirkten[ 31 ]. Jenseitsvisionen beschrieben, was die Seelen nach dem Tod erwartete, und worauf man sich im Leben vorbereiten sollte. Der Glauben, der dem Volk zugemutet wurde, war schlicht. Um ihn «zu haben», genügten wenige Formeln. Um sie zu begründen oder zu verteidigen, wandten Karls Gelehrte allen dialektischen Scharfsinn auf, dessen ihreZeit verfügte. Das Volk durfte sich mit den Formeln begnügen.
    Der König vollzog – von Kindheit an darin eingeübt – die Rituale, die damals von einem christlichen Herrscher erwartet wurden. Er besuchte morgens und abends die Kirche, täglich die Messe, nahm mitunter am nächtlichen Stundengebet teil, achtete peinlich genau – zumal bei den Lesungen und dem Psalmengesang – auf würdigen Vollzug; so erinnerte sich Einhard (c. 26). Die heilspendende Armenfürsorge pflegte er kontinuierlich; noch sein Testament gedachte ihrer (ebd. c. 33). Selbst die orientalischen Christen soll er mit Geld unterstützt haben (ebd. c. 27). Was Einhard hervorhob, entsprach ritualisierter Frömmigkeit, auch wenn Karl sich damit nicht begnügte. An reichsweit angesagten Fasten und Demutsbekundungen nahm noch der Kaiser teil[ 32 ]. Nur von Buße, gar öffentlicher Buße, wie sie später Karls Sohn Ludwig inszenierte, schwieg der Biograph. Selbst als Vorzeichen den nahenden Tod ankündigten, verlautete kein Wort über sie. Unterwarf sich Karl der stillen, aus Irland eindringenden Tarifbuße, die für jede Sünde ihr spezifisches Bußmaß bereithielt? Wagte niemand, ihn bußbedürftiger Sünde zu zeihen?
    Nachdem Karl zum Kaiser gekrönt war, verlangte er von allen die Kenntnis dieser wenigen Formeln.
Hloset ir, chindo liupostun, rihti dera calaupa
… «Gehorcht, liebste Kinder, dem Gebot des Glaubens … Der Glaube hat wirklich nur wenige Worte, aber sehr große Geheimnisse sind darin enthalten. Der Heilige Geist hat wahrhaftig den Lehrern der Christenheit, den heiligen Boten, diese Worte in solcher Kürze diktiert, daß, was alle Christen glauben und immer bekennen sollen, alle verstehen und im Gedächtnis behalten können. Wie kann sich ein Mensch Christ nennen, der diese wenigen Worte des Glaubens, in denen sein Heil liegt und durch die er errettet werden soll, und auch die Worte des Gebets des Herrn, die der Herr selbst als Gebet eingesetzt hat, wie kann der ein Christ sein, der sie weder lernen noch im Gedächtnis behalten will? … Jetzt beeile sich jeder Mensch, der ein Christ sein will, das Glaubensbekenntnis und auch das Gebet des Herrn schleunigst zu lernen und auch die zu unterrichten, die er aus der Taufe hebenwird, damit er am Tag des Gerichts nicht gezwungen werde Rechenschaft abzulegen. Denn es ist Gottes Gebot und … Befehl unseres Herrn (des Kaisers)».
    Daz ist … unsares herrin capot
. So ließ Karl sein Volk unterweisen und mahnen[ 33 ]. Königsbefehl und Gerichtsdrohung vereinten sich zur Religionspraxis des Volkes. Das Jüngste Gericht drohte ihnen allen gleichermaßen. Die verordnete Religion war Herrschaftsinstrument; aber der Herrscher war ihr von seinen ersten Lebenstagen an gleichfalls unterworfen. Alle Christen sollten die Formeln auswendig hersagen können, eben den Glauben «haben» und das Jüngste Gericht fürchten. Innerlichkeit kannte dieser Glauben nicht. Gottesfurcht und die Angst vor der Hölle mit ihren Torturen drängten zur Heilshoffnung durch demütigen Ritualvollzug. Tatsächlich wurde Christi Höllenfahrt in Gallien ins Glaubensbekenntnis eingefügt und gelangte von dort aus nach Rom. Er selbst, Karl, wird als Kind entsprechend angehalten worden sein und solche Forderungen verinnerlicht haben. Sie schlossen später ein tieferes Eindringen in die Glaubenswahrheiten nicht aus,
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