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Karibische Affaire

Karibische Affaire

Titel: Karibische Affaire
Autoren: Agatha Christie
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danach gefragt«, sagte der Kanonikus. »Er sagte, er nenne sie ›Lucky‹, weil sie ihm Glück bringe. Verlöre er sie, so würde auch sein Glück dahin sein. Das ist sehr hübsch gesagt, finde ich.«
    »Ja, er ist ein spaßiger Herr«, sagte seine Schwester.
    Der Kanonikus blickte sie zweifelnd an.
    Mit missklingendem Getöse setzte jetzt die Kapelle ein, und eine Gruppe von Tänzern eilte zur Tanzfläche. Alle, auch Miss Marple, drehten ihre Stühle, um zuzusehen. Der Tanz gefiel Miss Marple besser als die Musik, sie mochte das Schleifen der Füße und die rhythmischen Körperbewegungen. Sie fand das alles so lebenswahr, so voll gebändigter Kraft. Zum ersten Mal meinte sie, sich in ihrer neuen Umgebung ein wenig heimisch zu fühlen. Bis jetzt hatte sie vermisst, was sich sonst so leicht einzustellen pflegte: gewisse Ähnlichkeit zwischen Leuten, die sie neu kennen lernte, und verschiedenen ihrer alten Bekannten. Vielleicht hatten nur die fröhlichen Kleider und die exotischen Farben sie verwirrt. Nun aber spürte sie die Möglichkeit einer Fülle interessanter Vergleiche!
    Molly Kendal zum Beispiel erinnerte sie an dieses nette Mädchen, der Name war ihr entfallen, aber sie war Schaffnerin im Autobus nach Basing, half stets beim Einsteigen und läutete nie ab, ehe man nicht richtig saß. Tim Kendal glich ein wenig dem Oberkellner im Royal George in Medchester. Selbstsicher und doch besorgt. Hatte er nicht Magengeschwüre gehabt? Major Palgrave wiederum wirkte wie eine zweite Ausgabe von General Leroy, Hauptmann Fleming, Admiral Wicklow oder Fregattenkapitän Richardson. Doch nun zu den interessanteren Leuten: zum Beispiel Greg. Das war noch schwieriger, denn er war Amerikaner. Vielleicht eine Spur von Sir George Trollope, der im Zivilverteidigungsausschuss saß und immer so voller Witze steckte? Oder vielleicht glich er Mr Murdoch, dem Fleischer! Sein Ruf war ja nicht der beste, aber manche Leute erklärten das für dummen Tratsch, den Mr Murdoch noch unterstützte. Jetzt zu Lucky: Das war leicht – Marleen in den Drei Kronen. Aber Evelyn Hillingdon? Die war nicht so genau einzustufen. Ihr Aussehen passte zu vielen Rollen – große verwitterte Engländerinnen gab es wie Sand am Meer. Vielleicht Lady Caroline Wolfe, Peter Wolfes erste Frau, die Selbstmord begangen hatte? Oder auch Leslie James, die ruhige Dame, die so selten ihre Gefühle zeigte und so sang- und klanglos ihr Haus verkauft hatte, um fortzuziehen, und keiner wusste, wohin? Jetzt noch Oberst Hillingdon: Für ihn hatte Miss Marple keine Antwort parat. Den müsste man erst ein wenig näher kennen lernen. Eben einer jener ruhigen Männer mit guten Manieren, deren Gedanken sich nicht lesen ließen, einen aber zuweilen erstaunten. Major Harper zum Beispiel hatte sich eines Tages ganz still und einfach die Kehle durchgeschnitten! Und niemand hatte jemals den Grund dafür erfahren. Zwar glaubte Miss Marple ihn zu wissen – aber ganz sicher war sie nie gewesen…
    Ihre Augen wanderten weiter, zu Mr Rafiels Tisch. Von ihm war vor allem sein großer Reichtum bekannt. Jahr für Jahr kam er nach Westindien, halb gelähmt, mit einem knittrigen alten Raubvogelgesicht. Die Kleider schlotterten ihm um seine zusammengeschrumpfte Gestalt, und er mochte siebzig, achtzig oder auch neunzig Jahre alt sein. Sein Blick verriet Schlauheit, auch war Mr Rafiel häufig grob, aber die Leute fühlten sich dadurch nur selten beleidigt, einesteils, weil er reich war, aber auch wegen seiner starken Persönlichkeit, die das Gefühl suggerierte, Mr Rafiel habe ein Recht darauf, grob zu sein, wann immer er wolle.
    Mrs Walters, die Sekretärin, saß bei ihm. Sie hatte weizenblondes Haar und hübsche Züge. Auch zu ihr war Mr Rafiel oft sehr grob, aber sie schien das nie zu bemerken. Dabei war sie durchaus nicht unterwürfig, benahm sich eher wie eine gut geschulte Krankenschwester. Wer weiß, dachte Miss Marple, vielleicht war sie tatsächlich Krankenschwester gewesen?
    Jetzt trat ein junger Mann in weißer Jacke, groß und sympathisch, an Mr Rafiel heran. Der alte Mann blickte zu ihm auf, nickte und wies auf einen freien Stuhl. Der junge Mann setzte sich. »Das ist wohl Mr Jackson«, sagte sich Miss Marple, »sein Kammerdiener.«
    Und aufmerksam musterte sie Mr Jackson.
     
    In der Bar streckte Molly Kendal ihren Rücken und schlüpfte aus den Schuhen mit den überhohen Absätzen. Eben kam Tim herein. Für einen Augenblick waren sie ungestört.
    »Müde, Liebling?«, fragte
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