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Karibische Affaire

Karibische Affaire

Titel: Karibische Affaire
Autoren: Agatha Christie
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erzählen! Aber manches schickt sich natürlich nicht für die Ohren einer Dame…«
    Mit der Routine langer Übung schlug Miss Marple die Augen nieder und dachte wieder an ihren liebevollen Neffen, während Major Palgrave seine von allen Anstößigkeiten gereinigte Version gewisser Stammesgewohnheiten fortsetzte.
    Raymond West war ein erfolgreicher Romanautor mit bedeutendem Einkommen. Er tat, was er konnte, um seiner alten Tante das Leben zu erleichtern. Vergangenen Winter, nach einer bösen Lungenentzündung, hatte der Arzt ihr viel Sonne verordnet, und Raymond, freigiebig wie ein Lord, hatte Westindien vorgeschlagen. Zwar hatte Miss Marple Bedenken geäußert hinsichtlich der Kosten, der Entfernung und der beschwerlichen Reise, auch würde ihr Haus in St. Mary Mead leerstehen müssen – aber Raymond hatte alles erledigt: Ein Freund, der an einem Buch schreibe, suche ein ruhiges Landhaus, er werde es aufs Beste betreuen. »Er ist sehr stolz auf seine häuslichen Fähigkeiten. Ein komischer Kauz – ich meine…«
    Er hatte eine Pause gemacht, ein wenig verlegen – aber sicherlich hatte sogar die gute alte Tante Jane schon von solchen komischen Käuzen gehört.
    Hernach hatte er sich um alles Weitere gekümmert. Reisen war ja heutzutage kein Problem mehr. Sie würde fliegen. Eine Freundin, Diane Horrocks, die nach Trinidad fuhr, würde sich ihrer bis dorthin annehmen. Und auf St. Honoré würde sie im Golden Palm Hotel wohnen, das die Sandersons führten, die nettesten Leute auf Gottes Erdboden. Sie würden nach dem Rechten sehen, er werde ihnen auf der Stelle schreiben.
    Wie sich dann herausstellte, waren die Sandersons nach England zurückgegangen, aber ihre Nachfolger, die Kendals, waren sehr nett und freundlich gewesen und hatten Raymond versichert, er brauche wegen seiner Tante überhaupt nicht besorgt zu sein. Für den Notfall gebe es einen sehr guten Arzt auf der Insel, und sie selbst würden sich um ihr Wohlergehen kümmern.
    Sie hatten auch wirklich Wort gehalten. Molly Kendal, eine blonde Zwanzigerin von offenem Charakter und stets guter Laune, hatte die alte Dame wärmstens begrüßt und tat nun alles, um es ihr so bequem wie möglich zu machen. Auch Tim Kendal, ein schlanker dunkler Dreißiger, war die Freundlichkeit in Person.
    Da war sie nun also, der Rauheit des englischen Klimas entrückt, und hatte einen hübschen kleinen Bungalow mit freundlich lächelnden westindischen Mädchen zu ihrer Bedienung. Tim Kendal, stets zu Spaßen aufgelegt, teilte ihr im Speisesaal die tägliche Speisenfolge mit, und von ihrem Bungalow führte ein angenehmer Pfad zur Küste und zum Badestrand, wo sie in einem bequemen Korbstuhl sitzen und den Badenden zusehen konnte. Sogar ein paar ältere Gäste zur Gesellschaft waren da: der alte Mr Rafiel, Dr. Graham, Kanonikus Prescott mit Schwester sowie Major Palgrave, ihr derzeitiger Kavalier.
    Was konnte eine ältere Dame sich noch wünschen?
    Aber leider muss gesagt werden, dass Miss Marple nicht so zufrieden war, wie sie es nach Lage der Dinge hätte sein müssen. Sie wusste das, fühlte sich sogar schuldig deswegen. Sicherlich, es war wunderschön hier, und so gut für ihren Rheumatismus! Und die Landschaft war herrlich, wenn auch – vielleicht – ein bisschen eintönig. So viele Palmen, und auch sonst Tag für Tag immer das gleiche: Nie geschah etwas, ganz anders als daheim in St. Mary Mead, wo sich immer etwas tat! Ja, wirklich, in St. Mary Mead war immer etwas los. Eine Episode um die andere ging Miss Marple durch den Sinn. Da war der Irrtum mit Mrs Linnetts Hustenmixtur, dann dieses ganz merkwürdige Benehmen des jungen Polegate, damals, als Gregory Woods Mutter ihn besuchen gekommen war – aber war sie seine Mutter? –, dann der wahre Grund des Streites zwischen Joe Arden und seiner Frau. Lauter interessante menschliche Probleme, über die man so gut nachdenken konnte! Wenn es nur auch hier irgendetwas gäbe, irgendein Problem, in das man sich – nun ja – so richtig verbeißen könnte!
    Erschrocken stellte sie fest, dass Major Palgrave Kenia längst verlassen hatte und nun von seinen Erlebnissen als Unteroffizier an der Nordwestgrenze Indiens berichtete. Eben fragte er sie mit großem Ernst: »Meinen Sie nicht auch?«
    Ihre lange Übung befähigte Miss Marple, auch diese Situation zu meistern.
    »Ach, wissen Sie, ich glaube, ich bin da doch zu wenig erfahren, um das zu beurteilen. Ich habe leider recht zurückgezogen gelebt.«
    »Wie sich’s gehört, meine
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