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Kaltstart

Titel: Kaltstart
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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die die privaten Investitionen ihrer Autoren für ihre eigenen Zwecke auszunutzen verstehen. Am Freitagabend die Fahnen eines kompletten Romanmanuskripts durchmailen, und die Korrektur zum nächsten Montagmittag erwarten? Für manche Leute kein Problem.
    Man kann es drehen und wenden wie man will, die Bleistiftzeit ist vorbei. Das heißt auch, dass der vollverdrahtete Schriftsteller den Elfenbeinturm noch simulieren, aber nicht mehr wirklich bewohnen kann. Sicher, manche behaupten noch, ihre Manuskripte würden mit dem Bleistift verfertigt, aber manche erzählen auch sonst viel, wenn der Tag lang ist. Und selbst wenn es stimmen würde, wäre es nicht per se ein Qualitätsmerkmal oder ein Grund zum Stolz. Weder Leugnung, noch Jubel, noch Klagen sind die angemessene Reaktion auf die aktuellen Produktionsbedingungen für Autoren. Man kann gemeinsam versuchen, sie zu verändern, oder man kann sie akzeptieren und das Beste daraus machen. An der Frage, wie ein guter Text aussehen soll, führt, Computerisierung hin, Computerisierung her, sowieso kein Weg vorbei.

Das Gerät

    Mitte der 60er Jahre, als er noch mehr Bücher schrieb und weniger törichte Reden hielt, erfand Martin Walser das Gerät, eine multifunktionelle, dabei völlig sinnlose Apparatur, die als das ideale Geschenk zu jedwedem denkbaren Anlass fungieren sollte. Das Gerät sollte die Geschenkfrage in der bürgerlichen Gesellschaft ein für alle mal durch endlose Ausbaufähigkeit beantworten. Keine peinlichen Überlegungen mehr, was Onkel Fritz und Tante Agathe eigentlich dieses Jahr zum Geburtstag geschenkt werden sollte, denn es würde wie immer ein neues Zusatzteil für das Gerät geben. Man würde alles damit machen können, wirklich alles, es wäre sehr praktisch und völlig nutzlos, nicht zuletzt durch die ständigen An- und Umbauten wäre es schließlich dazu verdammt, nur noch zu wachsen, etwa wie ein künstlicher Baum, dem jedes Jahr ein Ring mehr umgelegt wird, und es müsste in garagenartigen Anbauten zu allem nütze und von niemandem benutzt dahingammeln.
    Die ganz Eifrigen könnten es gut in Schuss halten, ab und zu diese oder jene kleine Aufgabe damit bewältigen, nur damit die Gelenke nicht einrosten, bei den Familiensinnigen könnte es zum Mittelpunkt eines gewissen Rituals werden, indem es regelmäßig in all seiner Pracht und Herrlichkeit, geputzt und voll ausstaffiert, den Kindern zur Andacht vorgeführt würde, eine Monstranz des Konsumzeitalters mit ständig wachsendem Strahlenkranz.
    Ich las die Geschichte vom Gerät Anfang der Achtziger, und lachte von Herzen darüber, denn ich begriff sie als eine Parodie auf die seltsamen Muttertagsgeschenke, die sich in den Schränken unserer Küche angesammelt hatten, jene beklemmenden Überreste der Pflicht, Mutti auch mal was Gutes zu tun. Da gab es Joghurtmaschinen, Eismaschinen, elektrische Saftpressen, elektrische Eierkocher für sechs Eier gleichzeitig, und viele andere Staubfänger mehr, die Vati uns vorgeschlagen hatte für Mutti zu kaufen, damit sie eine Freude habe, und wir waren hingegangen, hatten unser erspartes Taschengeld und die väterlichen Zuschüsse zum lokalen Elektrohandel getragen, der am Muttertag Umsätze machte wie sonst nie, waren mit dem fabrikneuen Müll von Stiebel Eltron, Rowenta und Braun zurückgekehrt, und hatten ihn am 14. Mai der säuerlich lächelnden Mutter überreicht, die sich überhaupt nicht freute, das Geraffel einmal rein alibimäßig benutzte, und dann für immer verschwinden ließ.
    Der gesammelte Muttertagsabraum erschien mir wie die reale Umsetzung von Walsers zwanzig Jahre altem Konzept. Ich dachte: “Entweder hat sich seit zwanzig Jahren nichts geändert, oder Walser war seiner Zeit zwanzig Jahre voraus.” Welch ein Irrtum. Walser war seiner Zeit an diesem Punkt nicht zwanzig Jahre voraus, sondern zwei volle Epochen, und als das wahre Gerät sich schon ankündigte, steckten ich und meine Familie noch voll in der Ära der Küchengeräte. Kurzzeitig von technischen Schwierigkeiten ausgebremst, mutierte das Gerät nach seiner Protophase als Muttertags-Elektromüll zu einer Veranstaltung namens Partykeller, die Mitte bis Ende der Siebziger Millionen von Familienvätern dazu brachte, ungenutzte Kellerräume in ihren Häusern mit Holzverkleidungen und Wagenrädern an den Wänden, rustikalen Sitzbänken und schmiedeeisernen Salz- und Pfefferbestecken zu verhäßlichen, und die zu gar nichts anderem diente, als überflüssiges Geld und überschüssige
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