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Kaltstart

Titel: Kaltstart
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Schlüsselszene im Bezug auf Computer ist aber eine andere, nämlich jene, in der ein Kind einen Atari Portfolio benutzt, um Geldautomaten auszurauben, was niemanden mehr groß überraschte. Kinder, die mit Computern herumhantierten, waren keine große Sensation mehr: Spätestens 1991 hatte sich im kollektiven Matschbewußtsein die Erkenntnis durchgesetzt, dass Computer unvermeidlich sein würden.
    Es dauert aber noch bis 1993, bis der Befehl, dem ich ja seit Jahren schon gehorchte, klar erschallte: In “Im Namen des Vaters” gibt es eine Szene, in der Emma Thompson in der Rolle der Rechtsanwältin von einem hochrangigen britischen Polizisten Erklärungen für die Behandlung ihres Mandanten verlangt. Sie prallt an der Charaktermaske ab. Der Mann sitzt mit arroganter Miene da und erklärt ihr, dass nichts von dem geht, was sie will. Hinter ihm, in einiger Entfernung, steht ein PC, und es ist durchaus bemerkenswert, dass dieser PC leicht anachronistisch wirkt, weil er sich zur erzählten Zeit des Films noch relativ rar machte in Polizeidienststellen. Er steht nur zu dem einen Zweck da, dem Publikum eine Gleichung vorzuführen, an die es im Jahre 1993 bereits gewöhnt war: Uniform + Computer = Macht. Die Tatsache, dass Sneakers, ein Film über alternde Hacker, die noch einmal ihr ganzes Können aufbringen müssen, etwa um die gleiche Zeit gedreht wurde (1992), lässt mich die endgültige Durchsetzung der Computer als Machtmetapher im Massenbewusstsein auf die Jahreswende 1992/93 datieren. Wir leben im Jahr 10 des Computerzeitalters.

Hyperion ist überall

    Computer sind Waffen, nicht nur für Hacker. Von den verchromten Musspritzen der Fernsehhelden fällt ein techopornographischer Abglanz auf die elektronischen Spielzeuge der Cyberkultur. Der Längsschnitt durch eine Pistole mit ihren Federn, Bolzen und vor allem dem chirurgisch präzise geöffneten Magazin mit den Patronen darin findet seinen Widerhall in den coolen Innereien der Computer, dargestellt in den Zeitschriften, die in den Läden neben den Zeitschriften für die Kanonen liegen. Computer müssen ihre Programme laden wie Selbstladepistolen ihre Patronen, das Booten eines Computers ist dem Durchladen analog, die erste Kugel ist im Lauf, der Spaß kann beginnen. Die Liste der mörderischen Metaphern in der Computerwelt ist zu lang, um interessant zu sein, “Killer-Apps” reichen sich mit “Hits” nach einem Suchdurchlauf im Internet die Hände. Töten ist cool, und das soll den Werkzeugen auch anzusehen sein.
    Das schöne, präzis funktionierende Markenfabrikat vom Kaliber 9 mm findet sein Pendant im bis in die Spitzen durchgesignten Apple-Cube, die User wären insgeheim alle gern wie Trinity aus “Die Matrix”: schneller als ein Blitz, gekleidet ins glänzende Lackleder der sadomasochistischen Coolness, die Pistolen schon gezogen, bevor es eigentlich möglich ist. Das Summen in den Fingerspitzen auf der Tastatur einer neuen Maschine ist durchaus mit der Triggerhappiness des Waffenfanatikers zu vergleichen, der sich ein neues Spielzeug mit noch mehr Bums gegönnt hat. In den schönsten Produkten der Computerindurstrie ist die Feinmechanik der Maschinenwaffen aus dem Manufakturkeller in den Himmel der Mikroelektronik aufgestiegen, wo sich die Gatling-Gun von früher in das ultraleichte, superschnelle Laptop im Magnesiumgehäuse verwandelt hat, mit dem man Filme drehen, Datenbanken verwalten, einen Internetserver aufziehen, Videokonferenzen machen und Mutti eine E-mail schreiben kann.
    Wie immer haben die Science Fiction-Schriftsteller für die freischwebende Utopie von der silberglänzenden, berührungsfreien, gedankenschnellen und selbstreinigenden Tötungsmaschine die besten Bilder gefunden. Dan Simmons hat in seinem “Hyperion”-Zyklus die Shrike geschaffen, ein unerklärliches, zeitreisendes Ding, chromglitzernd, stachelbewehrt, das auf dem Planeten Hyperion die rätselhaften Gräber der Zeit bewacht, und regelmäßig unglaubliche Massaker unter denen anrichtet, die sich diesen Gräbern unbefugterweise nähern wollen. Typischerweise hat sich auf Hyperion um die Shrike ein ganzer religiöser Kult gebildet, Pilgerreisen und Bischöfe inklusive, und die Anrainer an den Gräbern der Zeit denken gar nicht daran, aus der Gegend wegzuziehen, in der die Shrike immer mal wieder, von keiner Sicherungsmaßnahme gehemmt, einzelne Opfer oder ganze Gruppen durch den Wolf dreht. Die Shrike ist das idealtypische Bild jener Synthese zum gewaltpornographischen
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