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Kaltstart

Titel: Kaltstart
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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schieben anderen Kunden schlechtgelaunt braune Kartons über den Tresen, und geben insgesamt den Eindruck kompletter Lustlosigkeit ab. Das Interesse am Kunden ist in etwa so deutlich ausgeprägt wie bei McDonalds, nur die faschistisch gleichgeschaltete Alertheit bei McDonalds wird in diesen Computerläden durch ein alles umwallendes Parfüm der Indolenz ersetzt, das ein findiger Duftdesigner nicht besser kreieren könnte, selbst wenn er’s wollte. Eigentlich müsste über all diesen Läden und Kaufhausketten ihr Motto stehen, in Schockfarben leuchtend: Is mir doch egal . Man wüsste wie bei Dantes Inferno wenigstens, woran man ist, und würde sich nicht obendrein von den blumigen und durch nichts gedeckten Versprechungen auf “Kundenservice” “Beratung” und “Kompetenz” in den Werbeblättchen der Computermafia verschaukelt fühlen.
    Die Versierten und die Arroganten unter den Computerfuzzis kommen aus einem ganz anderen Stall. Sie haben irgendwann während des Informatikstudiums gemerkt, dass sie eigentlich keine Informatiker sind, und angefangen, ihr Computerwissen in einen kleinen Laden zu investieren: anfangs eigentlich eher ein Hinterzimmer mit Lötkolben, dann ein wirkliches Ladengeschäft, dann ein Ladengeschäft mit zweiter Etage. Das Problem mit ihnen ist folgendes: Sie sind zwar eigentlich keine Informatiker, aber sie sind auch keine Verkäufer. Manche von ihnen könnten sich Computerchips aus Holz schnitzen, wenn das nötig wäre, in ihrer Freizeit schreiben sie an dem ultimativen Betriebssystem für PCs, das seit zehn Jahren nicht fertig wird und nie fertig werden wird. In gewisser Weise gleichen sie Journalisten, die zwar in der Lokalredaktion arbeiten, aber daheim einen tausendseitigen Roman in der Schublade haben, den sie niemandem zeigen. Sie können allein schon aufgrund ihres enormen Fachwissens kein normales Gespräch mehr mit einem Menschen führen, der nicht weiß, was eine Festplatte ist; sie, die Computer schon vernetzt haben, als das eigentlich noch gar nicht ging, können mit Wesen nichts anfangen, die noch nie ein Motherboard gesehen haben. Manche sind auch schlicht und ergreifend nur völlig introvertierte Spinner, die eigentlich überhaupt nichts mit anderen Menschen anfangen können, bei ihnen resultiert die Ungeduld aus der blanken Unsicherheit. Mit den Versierten oder Arroganten dieses Typs zu kommunizieren, ist genauso eine Qual wie der Kampf mit den Gleichgültigen und Inkompetenten. Man merkt sofort, dass man sie mit den eigenen Fragen nervt. Sie sind eigentlich bei ganz was anderem, wahrscheinlich bei einem Fehler in dem Betriebssystem, an dem sie privat herumstricken. Sie tendieren dazu, viel und schnell zu nicken, als sei ohnehin alles klar, und vervollständigen die Sätze des Kunden, bevor er es tun kann. Aufgrund ihrer sozialen Behinderung, die in der kompletten Unfähigkeit besteht, sich in die Situation von jemand anders hineinzuversetzen, aufgrund ihres chronischen Empathiemangels also, ist das Gespräch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Im schlimmsten Fall merkt der Kunde sogar, dass der Versierte oder Arrogante sehr wohl eine Lösung bereithalten könnte, aber dass sie ihm nicht zuteil werden wird. Überhaupt gleicht das Verkaufsgespräch dann eher einem Erstkontakt mit den Außerirdischen: Beide Spezies sind grundsätzlich vernunftbegabt, aber sie können nicht miteinander reden. Wenn der Alien sich dann auch noch darauf versteift, die Haltung einzunehmen, dass das doch im Grunde alles gar nicht schwierig und sowieso kein Problem sei, wird es kriminell. Der Kunde kommt sich mit seinen schwammigen Begriffen, dem verwaschenen Verständnis des eigenen Problems, seiner unklaren, aus halbbegriffenen Artikeln von populären Computerzeitschriften stammenden Terminologie wie ein Vollidiot vor, der versierte Verkäufer gibt ihm das Gefühl, als sei das auch absolut berechtigt, und schaut dabei auf die Uhr. Der absolute Nr. 1-Hit meiner dysfunktionalen Verkaufsgespräche dieser Art ist seit langem eine Konversation mit dem Geschäftsführer eines Computerladens gleich hier in der Nähe, der mit der Zusicherung warb, bei ihm werde der Kunde noch ernst genommen. Ich hatte ein schwerwiegendes Problem mit einem neugekauften externen Laufwerk [21] , und der Vollprofi unterbrach meine ohnehin möglichst knapp gehaltene Darstellung mit dem goldenen Satz: “Warum kaufen Sie überhaupt so einen Schrott.” Er lief zu einem Regal, zeigte auf ein Konkurrenzprodukt, und sagte:
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