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Kaltstart

Titel: Kaltstart
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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sind nur Geräte, aber die seltsamsten je. Und wir werden uns das selbst noch beweisen.
    Ein zweiter Hilfeschrei, den man oft im Zusammenhang mit der Computerwirtschaft hört, heißt: “So kann es doch nicht weitergehen!” Gemeint sind damit die Innovationsraten, die Tatsache, dass jeder vierte PC von der Fabrik auf die Müllhalde wandert, weil er im engen Zeitfenster seiner Modernität nicht verkauft werden kann, Massaker-Computerspiele für Fünfjährige, zwei Handys und drei PDAs in jeder Aktentasche, usw. usf. Die Antwort darauf ist einfach: Doch. Kann es. Wird es. Wenn’s schon nicht der Weltgeist will, dann die Neugier, die Computerindustrie, die Phantasmen der Superiorität, der Nashornfaktor nach Ionesco. Die wollen es ganz bestimmt. Manchmal, wenn wir unsere Nasen mit Hornpolitur einreiben, damit wir möglichst bald mit all den anderen Nashörnern mittrampeln können, wird uns ein bisschen unwohl. Eigentlich wollten wir ja nicht jeden Mist mitmachen, und überraschen uns wieder und wieder dabei, wie wir es doch tun. Es kann so weitergehen. Es wird. Die Hoffnung, dass wir gemeinsam steuern könnten, was uns als Individuen nur überrollt, besteht.

Sie können jetzt den Computer ausschalten

    Was bleibt? Ich beginne mich zu langweilen, wenn nur von Maschinen die Rede ist. Ich habe zehn Jahre lang Computer heiß und innig geliebt, und wie in jeder Liebesbeziehung verändern sich die Gefühle. Ich kann immer noch über einer dieser glitzernden Anzeigen zu einem neuen Gerät anerkennend durch die Zähne pfeifen. Oh la la! Soundsoviel Ghz! Ganz große Platte! Sehr viel Arbeitsspeicher! Toller Hecht! Es ist dasselbe Pfeifen, das andere Männer ausstoßen, wenn sie einen roten Ferrari, ein scharfes Supermodel oder irgendein anderes Objekt der Begierde, für das man sich so begeistert. Vielleicht wird sich das im Großen und Ganzen nie ändern. Die Auslagen von Computergeschäften faszinieren mich immer noch, ich bleibe immer noch stehen, um die coolen Teile zu bewundern. Es ist ja alles immer neu. Auf der Verbrauchermesse früher habe ich die revolutionären Erfindungen bewundert, die Regenschirme mit Kompass im Knauf, die selbstaufblasenden Rückenschoner für den Autositz, Regale aus Papier, die aussahen, als seien sie aus Holz gemacht. Ähnlich wichtige Dinge verspricht uns die Industrie für das kommende Jahrzehnt. Handys, auf deren Bildschirmen man Hollywoodfilme ansehen kann, GPS-Empfänger in der Armbanduhr, die alle Sprachen der Welt sprechen, die erste wirklich funktionierende Robotergeneration für zuhause. Danach muss das Paradies eigentlich zum Greifen nah sein. Aber der Eindruck, den die technischen Großleistungen bei mir hinterlassen, hat sich deutlich abgeschwächt. Ich halte die Gespräche darüber zunehmend kürzer. Ich werde ungeduldig. Es ermüdet mich. Es ist nicht mehr so wichtig.
    Wenn ich für meine eigene Liebesgeschichte zum Personal Computer eine ganz banale Kosten-Nutzen-Rechnung aufmache, kommt unter dem Strich folgendes heraus: Ich habe für Geräte zur Anfertigung, Speicherung und Verbreitung von Texten und Bildern etwa 10.000 Euro ausgegeben, vom Atari Portfolio bis zu dem Rechner, auf dem ich das hier schreibe. Ich habe mit diesen Texten, vom ersten Hörspiel, bis zu diesem Buch, etwa 60.000 Euro eingenommen, jeden Cent eingerechnet. Das ist nicht schlecht. Es hat sich für mich gelohnt. Mit bloß einer Schreibmaschine wäre es mir erheblich schwerer gefallen.
    Meine Küchenanrichte steckt, wie schon gesagt, voller Elektronikmüll: Laufwerke, RAM-Bausteine, Anrufbeantworter, Telefone, defekte Speichermedien, drei leicht beschädigte Computermäuse, Netzteile, deren Lüfterventilatoren pfeifen, ein CD-Brenner, der zwar gut CDs brennt, aber so laut ist, dass er sich wie eine kleine kaputte Kreissäge anhört, Kabel, Stecker, Schrauben. Es kommt immer mal wieder was dazu, und es geht immer mal wieder was weg, wenn das eine oder andere Teil für einen Freund doch noch brauchbar ist. Manches hat sich als zäher erwiesen als gedacht, wie z.B. der Portfolio. Manches reizt mich nur noch zum Lachen. Es ist ein bisschen wie mit alten Platten, die man lange nicht gehört hat, man schmunzelt über die abgeschabten Cover und erinnert sich an nette Geschichten, aber ernsthaft hören kann man sie nicht mehr. Ich spiele ab und zu mit dem Gedanken, diese Müllhalde explosionsartig auszudehnen, indem ich alte Computer sammele. Aber ich lasse das bleiben, weil ich meine Wohnung bewohnbar halten
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