Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kaltstart

Titel: Kaltstart
Autoren: Marcus Hammerschmitt
Vom Netzwerk:
Statt wirklich Jäger zu werden, kaufte sich mein Vater gerne Taschen- und Jagdmesser (eines davon nannte er den “Hirschfänger“) und außerdem legte er sich ein Fernglas zu, das er immer den “Fernstecher” nannte, damit ihn meine Mutter immer korrigieren konnte: “Feldstecher heißt das oder Fernglas, aber nicht Fernstecher!” – Für einen richtigen “Fernstecher” vom Kaliber 20, 16, oder 12 reichte es dann nicht, auch wenn mein Vater bei Wanderungen öfters von “Zwölfendern”, “Losung” und “Pirsch” faselte.
    Bei mir ist es mit dem Programmieren ähnlich. Wäre es nicht toll, programmieren zu können? Man würde endlich einmal der Maschine Anweisungen geben, statt nur ihr Befehlsempfänger zu sein. Man säße am längeren Hebel, und könnte gestalten, statt nur zu verwalten. Natürlich sieht die Realität des Programmierens anders aus. Entweder man macht es als Hobby und stellt dann höchstens subalterne “Tools” und “Utilities” her, die man auf dem Internet zum Download anbietet, oder man macht es beruflich und murkst für die Firma. Der dritte Weg ist der Weg der Selbstausbeutung: Innerhalb der Open Source-Bewegung bemüht man sich mit viel Aufwand, professionelle Software zu schaffen und erscheint dafür in den Credits der Programme. Aber wäre es nicht toll, der Meister der Maschinen zu sein? Tagsüber der coole Codehengst, der im Handumdrehen die Probleme löst, und nachts, mit bleichem Gesicht vor flimmernden Bildschirmen der Rächer der Enterbten und der Schrecken Microsofts, ein Super-Kevin-Mitnick, tagsüber der Jäger, nachts der Wilderer? Einmal bin ich so weit gegangen, mir im Zuge von Recherechen für ein Hörspiel zum Thema Computer-Terrorismus [19] in der öffentlichen Bibliothek ein Buch über objektorientiertes Programmieren auszuleihen. Ich versuchte das Buch sogar zu lesen.
    Aber typischerweise steckte ich es nach dreißig Seiten auf. Es gibt einige Probleme mit mir und dem Programmieren. Erstens habe ich nicht die Zeit. Ich muss Bücher schreiben. Zweitens bin ich nicht so gut in formaler Logik. Dafür gibt es verschiedene Gründe, aber einer der wichtigsten läuft immer noch auf zwei Beinen herum und unterrichtet an einem saarländischen Gymnasium immer noch Mathematik. Als ich Philosophie studierte und im Grundstudium eine Klausur in formaler Logik anstand, war ich mir sicher, ich würde durchfallen. Dass ich doch bestand, verblüffte mich demgemäß sehr. Leider konnte ich mich in der Folgezeit in dieser Hinsicht nicht mehr allzuoft verblüffen, formale Logik fällt mir einfach schwer, es ist so. Ich werde immer gleich so müde dabei. Ich kann mich durcharbeiten, aber es macht mir keinen Spaß, genauso wenig wie Kreuzworträtsel oder der Nachbau der Notre Dame mit Streichhölzern im Maßstab 1:20. Das, will mir scheinen, ist leider keine gute Voraussetzung für das Programmieren, weil die Erstellung eines handfesten Computerprogramms von außen für mich genauso aussieht wie die Weltmeisterschaften im Dominosteine-Aufstellen. Und daher werde ich kein Programmierer sein, genauso wenig wie mein Vater ein Jäger ist.

Golem (Deep Blue)

    Computer “machen” ständig die erstaunlichsten Dinge. Sie “sammeln” anscheinend selbständig Information, “manipulieren” sie und “verteilen” sie wieder an uns zurück. Sie. Die da. Die Herren der Welt. Computer sind schon Subjekte, noch bevor sie es sind, weil die Sprache mit ihnen nicht zurechtkommt. Die Welt ist ja ohnehin immer mächtiger als die Sprache, aber bei den Computern wird das besonders augenfällig. Ihre halbe Autonomie, das leblose Leben, das sie von ihren Ingenieuren geborgt haben, verleitet die Sprache, ihnen Handlungskompetenzen zu unterstellen, die sie nicht haben. Ein Rechner rechnet, aber wer ist es, der da rechnet? Da er es “tun” kann, ohne ständig wie ein Abakus gehandhabt werden zu müssen, wirkt er schon wie einer, der rechnet. Deep Blue spielt nicht Schach, aber er schlägt Kasparow. In manchen Sprachen gibt es außer dem Singular und dem Plural auch noch den Dual, eine Beugungsform der Substantive, die ausschließlich paarweise auftretende Dinge, Tiere oder Menschen bezeichnet. Im übertragenen Sinn fehlt der Sprache der “Dual” für Dinge, die zwischen reinen Sachen und geistigen Entitäten liegen, daher kann sie von Computern nur anthropomorph sprechen. Dieser Mangel der Sprache und die perverse Erotisierung des Computers als Phallussymbol und kalter, wehrloser, technischer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher