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Kaltherzig

Titel: Kaltherzig
Autoren: Tami Hoag Fred Kinzel
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angezogen. Sie hätte, anstatt in einem Pferdestall zu arbeiten, auch ohne Weiteres auf dem Titel einer der Zeitschriften in ihrem Wohnzimmer erscheinen können. Selbst in weiten Hosen, T-Shirt und Gummistiefeln hatte sie noch eine fast aristokratische Selbstgewissheit und Eleganz verströmt. Ich nannte sie oft unsere »Zarin«.
    Die Schubladen im Toilettentisch enthielten das übliche Zeug: Nagellack, Tampons, Wattebäusche, Kondome. Ich fragte mich, ob sie in Erwartung einer Eroberung ein paar von Letzteren in ihre Handtasche geworfen hatte.
    Auf welche Sorte Männer hatte es Irina wohl abgesehen? Reiche. Sehr reiche. Auf jeden Fall gut aussehende. Sie hätte sich nie um des Geldes willen mit einer kleinen, fetten, kahlen Kröte mit schwitzenden Handflächen eingelassen. Dafür hatte sie eine zu hohe Meinung von sich.
    In Wellington herrschte während der Saison kein Mangel an tollen Männern mit viel Geld. Die Reichen hatten sich seit den Zeiten Cäsars elitären Reitsportarten verschrieben, wahrscheinlich länger. Privilegierte Söhne und Töchter, die
Prinzen und Prinzessinnen Amerikas - und eines Dutzends anderer Länder -, gehörten zur Szenerie der Reitparcours und Poloplätze hier. Sie bevölkerten die Partys und Wohltätigkeitsveranstaltungen, die den gesellschaftlichen Kalender von Januar bis März füllten.
    Hatte Irina vorgehabt, sich an diesem Abend einen reichen Sprössling zu schnappen? Ich konnte mir das nackte, kalte Entsetzen nur zu gut vorstellen, das sie gepackt haben musste, als sie begriff, dass ihr Leben eine ganz andere, eine schreckliche Wendung nahm.
    Ich ging ins Schlafzimmer und fand dort reichhaltige Beweise für ihre aristokratische russische Einstellung. Das Bett war übersät mit Kleidung, die sie in Erwägung gezogen und dann verworfen hatte, als sie sich für ihren Ausgehabend anzog.
    Für eine illegale Ausländerin, die sich ihren Lebensunterhalt als Pferdepflegerin verdiente, besaß sie eine sehr kostspielige Garderobe. Andererseits konnte eine Pferdepflegerin in Wellington sechshundert Dollar und mehr pro Monat und Pferd verdienen, plus Tageshonorare bei Reitveranstaltungen und noch einmal fünfunddreißig bis fünfzig Dollar pro Pferd und Tag für das Flechten von Mähnen bei diesen Veranstaltungen.
    In Seans Stall standen acht Pferde. Und Irinas Wohnung war mietfrei. Ihre Lebenshaltungskosten waren minimal - Zigaretten, die sie nur im Freien rauchte, in ihrer Wohnung hing nicht die geringste Spur von Zigarettenrauch, und Essen, für das sie, dem Inhalt ihres Kühlschranks nach, nur eine flüchtige Leidenschaft hegte. Ihre Priorität galt offenbar der Kleidung.
    Die Etiketten sprachen Bände: Armani, Escada, Michael
Kors. Entweder sie gab jeden Cent, den sie verdiente, für Klamotten aus, oder sie hatte noch eine andere Einkommensquelle.
    Doch Irinas Arbeitstage im Stall waren lang. Das erste Pferd musste um halb acht gestriegelt und gesattelt sein. Der abendliche Kontrollgang war um zehn. Ihr einziger freier Tag war der Montag. Nicht viel Zeit für eine einträgliche Zweittätigkeit.
    Zu den Dingen auf ihrer Kommode gehörten: ein Halstuch von Hermès, mehrere Flaschen teures Parfüm, silberne Armreife, eine Fusselbürste und eine Digitalkamera von der Größe eines Kartenspiels. Letztere nahm ich und steckte sie in meine Tasche.
    Ich durchsuchte ihre Kommodenschubladen. Unterwäsche von der Art, die man sich nicht leisten kann, wenn man nach dem Preis fragen muss. Hauchdünn. Sexy. Einige T-Shirts und Shorts, die sie zur Arbeit trug. Die große Schublade unten rechts enthielt eine Schmuckschatulle aus Wurzelholz mit ein paar sehr netten Stücken darin - mehrere Paar Diamantohrringe, ein paar diamantene Tennis-Armreife, ein paar Halsbänder, einige Ringe.
    Ich nahm ein schweres Glücks-Armband aus Weißgold zur Hand und untersuchte die Glückszeichen - ein Kreuz, das mit winzigen, blutroten Granatsteinen beschlagen war, ein grün emailliertes vierblättriges Kleeblatt, ein silberner Reitstiefel, ein Herz aus Sterlingsilber. Ein Herz aus Sterlingsilber, das beschrieben war mit Für I. Von B.
    B.
    Ein kleiner Tisch stand an einer Seite des Betts, er diente als Nachtkästchen und Schreibtisch. Irina hatte in ihrer Eile
am Samstag ihren Laptop angelassen. Der Bildschirmschoner war eine Diashow aus privaten Fotos.
    Ich setzte mich auf den Stuhl und sah zu. Es gab Schnappschüsse von Pferden, die sie betreute, von Sean, wie er in der großen Arena der Reitanlage in Wellington ritt.
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