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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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schloss die Augen.

VI
    Roswitha, jüngste der Schwestern vom Heiligsten Herzen Mariä, lag mit ausgestreckten Armen auf dem Boden der Kapelle, ihre Stirn berührte die eisig kalten Steinfliesen. Die Mutter Oberin sah solch eine demütige Andachtshaltung nicht gern, sie hatte Schwester Roswitha sogar schon einmal mit einem sachten Verweis bedacht. »Wir müssen nicht im Staub liegen, um Gott zu gefallen, mein Kind.«
    Aber heute konnte sie einfach nicht anders, Schwester Roswitha berührte die kalten Fliesen mit ihren offenen Handflächen, es fühlte sich an wie Trost. So viel war auf dieses Haus eingestürmt in den vergangenen Wochen, nie wieder würde es sein wie zuvor. Auch wenn sich alle bemühten, den normalen Alltag mit Gebet und Arbeit weiterzuführen, unter der Oberfläche summte es wie in einem Bienenstock. Schwester Gabriela, die sich so viel einbildete auf ihre Stimme, weil sie immer die Lesung zum Mittagsmahl und zum Abendessen halten durfte, wollte sogar nach Ungarn gehen, in dieses Haus der Schwester Annunziata, und mithelfen. Das hatte sie ganz deutlich vernommen, als sie an der Tür der Mutter Oberin … nun ja, vorbeigegangen war. Als ob den Frauen dort noch zu helfen gewesen wäre. Die waren an das Böse angestreift und nie, nie wieder würden sie sich reinwaschen können. Und diese … diese Dunkle, die zu ihnen ins Kloster gekommen war und nichts als Unruhe und schließlich sogar den Tod mit sich gebracht hatte, die sollte auf dem kleinen Friedhof hinter dem Kloster begraben werden. Schwester Roswitha ballte die Fäuste und presste die Stirn gegen die Fliesen. Die Mutter Oberin hatte ihnen das gestern mitgeteilt, nach der Vesper. Sie waren alle mit gesenktem Kopf im Kreis gesessen. Und niemand hatte eine Widerrede gewagt, niemand! Nicht einmal Schwester Benedikta, die bloß die Lippen zusammengepresst hatte. Nur sie selbst hatte das Wort ergriffen, zum allerersten Mal in dieser Runde. »Wird dieses Grab nicht unseren Frieden stören?«, hatte sie zu sagen gewagt, eigentlich hatte sie es mehr geflüstert. Aber die Mutter Oberin hatte sie sehr wohl verstanden, und die anderen auch. Alle hatten sie angestarrt, manche ablehnend, aber ein paar auch mit einem Ausdruck von Überraschung im Gesicht. »Dieses Grab wird uns an die Welt draußen erinnern«, hatte die Mutter Oberin gesagt, »und an das Leid, das manche ertragen müssen in ihrem kurzen Leben. Es wird uns zu Demut anhalten.« Dann hatte sie den Kopf gesenkt, und sie alle hatten das Vaterunser gebetet.
    Die Kälte war wie eine Reinigung, die ihren Körper kühlte. Denn sie fand einfach keine Ruhe, keinen Frieden. Doch so erging es vielen in der Kirche, davon hatte ihr Pater Anselm erzählt, als sie ihre langen Gespräche geführt hatten. So viele waren abgestoßen von den Forderungen einiger Verirrter. Priester sollten heiraten dürfen, Geschiedene die Kommunion empfangen, Menschen, die durch Hurerei krank geworden waren, sollten nicht länger ausgeschlossen bleiben. Aber so viele andere, die in diesen schamlosen Zeiten schwiegen, sehnten sich nach Zucht und Ordnung. Auch das hatte Pater Anselm gesagt. Unsere Zeit wird kommen, hatte er gesagt. Schwester Roswitha presste die Stirn gegen die eisig kalten Fliesen. Die Mutter Oberin war alt, und sie selbst war jung. Ihre Zeit würde kommen.

    *

    Der Kellner Adi stand hinter der Bar und zapfte fünf große Weihnachtsbock für die Runde, die im Erker saß und lärmte. Die Fidelen Zillertaler jodelten. Und die Kinder von der Familie, die mit ihren Schischuhen alles volltröpfelte, bewarfen sich gerade mit Pommes. Die Suse war in so einem Chaos immer unerschütterlich freundlich geblieben, und er hatte ihr dabei zugesehen, wie sie servierte und abservierte und kassierte und sich die Männer vom Leib hielt. Auf so eine nette Art, bei der keiner das Gesicht verlor, ganz im Gegenteil, die Suse hatte immer schöne Trinkgelder eingestreift. Bis der eine gekommen war, dieser Geck, dieser Gockel. Und die Suse war richtig aufgeblüht, weil ein Gentleman ihr Komplimente machte. Aber er, der Adi, hatte gewusst, dass das nicht gut enden würde. Was ist, gehst am Wochenende mit mir ins Kino, hatte er die Suse an einem Freitag gefragt, aber die hatte nur den Kopf geschüttelt. Danke, Adi, lieb von dir, aber ich hab schon was vor. Macht nix, hatte er gesagt. Und sich gedacht, dass er einfach warten würde. Und dann würde er die Suse trösten und vielleicht …
    Splitter flogen über die Teller mit Ketchup und
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