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Kalter Amok

Titel: Kalter Amok
Autoren: David L. Lindsay
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blickten, während er allein auf dem nassen Gras stand, dort, wo die Frau eben noch gelegen hatte, wo ihr Leichnam ausgestreckt gewesen war in einer Art stummer Provokation.
    Plötzlich bückte er sich nach einem trockenen Kiefernzweig, der zu seinen Füßen lag, und ging dann am Ufer entlang, wobei er im dichten Gras und im Schilf herumstocherte. Man konnte nicht sehen, wo sie ins Wasser gegangen war. Vermutlich nicht hier, sondern an einer ganz anderen Stelle. Er schaute hinüber zu den dichten Wäldern auf der anderen Seite des Sees. Vor ihm lag der riesige Memorial Park von Houston. Er hörte den Verkehr von Loop 610 herüber, einer Straße, die sechs oder acht Blocks entfernt den Wald am Westrand des Parks durchschnitt.
    Haydon warf den Stock weg und ging hinüber zu Leo und den beiden Kindern. Die Jungen waren etwa zwölf Jahre alt und trugen die »Uniform« der jungen Leute in Tanglewood, einem Viertel wo die obere Mittelschicht wohnte: Adidas-Joggingschuhe, Tennisshorts von Izod und nachgemachte Fußball-Trikots der »Oilers«.
    »Rickey war gerade dabei zu erklären, wie sie hierherkamen und die Tote gefunden haben«, sagte Leo und blinzelte Haydon zu. »Das ist Detective Haydon«, bemerkte er zu den Jungen. »Erzähl doch noch einmal, Rick, wie das war.«
    »Jawohl, Sir«, sagte der Junge. Er schaute Haydon durch ein Gestrüpp von wolligem, blondem Haar an, das dringend hätte geschnitten werden müssen, und grinste altklug. Haydon konnte den Burschen auf Anhieb nicht leiden. »Wir haben Frösche fangen wollen.« Er hielt einen angespitzten Bambusstock hoch. »Im Bayou gibt es eine ganze Menge davon. Wir brauchen sie für Experimente.«
    »Was für welche?«
    »Nur gewöhnliche alte Kröten.«
    »Ich meine, was für Experimente?«
    »Wissenschaftliche«, sagte der zweite Junge. Seine Stimme klang tief und melancholisch. Er grinste auch nicht.
    »Das ist Doug«, erklärte Leo.
    »Wir sind da unten entlanggekommen«, fuhr der erste Junge fort, »und haben uns nach Fröschen umgeschaut, als wir diesen Papiermond unter Wasser entdeckt haben. Wir haben mit unseren Speeren danach gestochert, bis wir ihn erwischt haben.«
    »Nur, daß es kein Papiermond war«, sagte Doug grimmig. »Es war ihr Hintern.«
    »Der Hintern?« Leo zog die Augenbrauen hoch.
    »Genau«, sagte Rick. »Ich hab’ ihren Hintern aufgespießt.«
    Leo Hirsch machte sich eine Notiz und schüttelte dazu den Kopf.
    »Natürlich haben wir gleich gewußt, daß es kein Papiermond war«, fuhr Rick fort. Er wollte sich die Geschichte nicht wegnehmen lassen. »Also hab’ ich noch mal danach gestochert und dann fest zugestoßen. Da ist ihr Hinterkopf aus dem Wasser aufgetaucht.« Er führte vor, wie das gewesen sein mußte, indem er sich steif nach hinten beugte und einen erstarrten Gesichtsausdruck zeigte. »Ihr Haar hatte sich im Schilf verfangen, und als ich den Speer bewegte, muß sie freigekommen sein, oder so.«
    »Dann sind wir hinaufgegangen zu uns, weil meine Mama zum Flugplatz gefahren ist, und haben die Polizei angerufen«, sagte Doug.
    »Warum seid ihr nicht in Ricks Haus gegangen?« fragte Hirsch. Er warf einen Blick auf seine Notizen. »Das wäre doch näher gewesen.«
    »Ausgeschlossen«, sagte Rick.
    »Seine Mama ist super-streng«, erklärte Doug. »Sie hätte uns bestimmt nicht mehr zurückkommen lassen, um zuzuschauen.«
    »Habt ihr euch das Gesicht der Frau angeschaut, als sie dort auf der Sandbank gelegen hat?« fragte Haydon.
    Sie nickten, waren ein wenig betroffen, weil es nicht das Gesicht war, das sie am meisten beeindruckt hatte.
    »Habt ihr sie schon einmal gesehen?«
    Nur Doug nickte.
    »Kennst du sie?« fragte Leo. Er zog einen Strich quer über die Seite seines Notizblocks.
    »Nein, Sir; aber ich weiß, wo sie wohnt.«
    »Wo denn?«
    »Da oben an der Pinewold.«
    »Ist das die Sackstraße?«
    »Jawohl, Sir.«
    »Und ihr lebt in der Nähe?«
    »Ja, Sir. In der Pine Hollow.«
    »Hat sie eine Familie, Kinder?«
    »Ich glaube nicht. Ich glaube, sie ist nicht verheiratet.«
    »Warum glaubt ihr das?«
    »Na ja… Ich habe viele Männer gesehen, die sie besucht haben. Sie verstehen schon. Ich glaube, sie ist vielleicht geschieden.«
    »Vielleicht«, sagte Haydon. Den Kindern entgeht nichts, dachte er. »Dann haben wir ja genau vor ihrem Haus geparkt, oder?«
    »Jawohl, Sir.«
    Ohne noch etwas zu sagen drehte sich Haydon um und ging der dunklen Spur nach, welche die Sanitäter im taufeuchten Gras hinterlassen hatten. Die anderen
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