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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
Autoren: Werner Toporski
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Abends vor dem Einschlafen bete ich mit Worten. Aber hier bei Bożena spielen Worte gar keine Rolle, hier ist es fast so, als ob meine Gedanken und Gefühle direkt in das Gebet wandern können, und das finde ich schön.
     
    Eben bin ich die Treppe heruntergekommen und will frühstücken, und jetzt stehe ich verblüfft in der Tür zur Küche, wo alle versammelt sind und auf mich zu warten scheinen.
    »Wszystkiego najlepszego!« 22 , sagt Piotr und alle anderen schließen sich an.
    Im ersten Augenblick weiß ich gar nicht, was gespielt wird, aber dann dämmert es mir, dass ich vielleicht Geburtstag haben könnte. Geburtstag! – Wie lange habe ich ohne Kalender gelebt! Dass Zeit auch gemessen wird, dass sie in Tagen und Monaten gerechnet wird, die alle einen Namen haben, das weiß ich zwar, aber das hat so lange keine Bedeutung für mich gehabt, dass es wohl in die allerhinterste Schublade meines Gehirns geraten ist. Und jetzt, mein Gott: Geburtstag!
    Alle schauen mich an, und ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Eine Kerze haben sie angezündet und auch ein Päckchen liegt da.
    »Ist das für mich?«
    Ich nehme es hoch. Es ist ungefähr so lang wie ein Holzscheit und so breit wie zwei oder drei. Und es ist auch ungefähr so schwer. Was kann das sein?, rätsele ich. Dann packe ich es aus. Und fliege zuerst einmal Hanka mit einem Jubelschrei an den Hals:
    »Schuhe!«
    Ich kann es kaum fassen!
    Die Schuhe sind richtig neu und glänzen. Extra für mich in der Stadt gekauft. Irgendwie müssen sie herausgefunden haben, wie groß meine Füße sind, und danach haben sie sie ausgesucht. Ich probiere sie an: Sie passen! Vorne sind sie ein klein wenig zu lang, aber wenn ich die Senkel fest zubinde, schlappen sie nicht, und so haben meine Zehen noch Platz zum Hineinwachsen.
    Kaum weiß ich, was ich sagen soll.
    »Danke, Pani 23 Hanko«, stammele ich, »vielen, vielen Dank!«
    Ich schaue noch einmal auf die Schuhe. Plötzlich kommt mir etwas in den Sinn: »Woher wisst ihr eigentlich meinen Geburtstag?«
    »Na woher wohl? Von deiner Mutter natürlich! Wir haben sie nach deinem Namenstag gefragt, aber sie hat uns erklärt, dass ihr immer Geburtstag feiert, und den hat sie uns verraten!«
    Ich kann es noch immer nicht fassen.
    »Willst du von mir eigentlich gar nichts?«, fragt Bożena in die Stille.
    Ich schaue sie fragend an und bekomme dann noch ein Päckchen in die Hand gedrückt. Vorsichtig wickele ich es aus.
    »Eine Puppe!«
    Und jetzt bin ich sprachlos. Kann wirklich nicht mehr reden! Eine richtige Puppe! Eine, mit der man spielen, die man lieb haben, die man mit ins Bett nehmen kann! Mir ist völlig egal, wie alt ich bin, ich nehme sie fest in den Arm und drücke sie an mich.
    Schließlich setze ich sie neben mich, als wir uns gemeinsam zum Geburtstagsfrühstück niederlassen. Ich sitze da, bin selig und träume vor mich hin.
    »Willst du gar keinen Kuchen?«
    »Doch.«
    Irgendwie schwebe ich, schwebe vor Glück. Ich muss an Mara denken, die Puppe, mit der ich in Waly gespielt habe, um die ich mit Huppe und Elsbeth gestritten und die ich dann auf dem Wagen habe zurücklassen müssen. Wie lange das her ist! Wie lange ich ohne Puppe habe auskommen müssen! Ich male mir aus, was ich mit der neuen alles spielen werde. Ich werde sie wieder Mara nennen. Und alles werde ich nachholen, was ich die beiden letzten Jahre versäumt habe, alles!
    Ich merke gar nicht, dass sie mir alle lächelnd zusehen, so glücklich bin ich. Erst als Bożena mir über das Haar streicht, komme ich wieder zu mir.
    »Hast du sie so vermisst?«, fragt sie behutsam.
    Ich kann nur strahlen. Und meine Augenwinkel fühlen sich ein kleines bisschen feucht an.
    Später am Tag kommt auch Mama vorbei, nur für wenige Stunden. Wir fallen uns wieder um den Hals und freuen uns, und es ist wie bei ihrem ersten Besuch hier: ganz ungezwungen und ohne dass ich mit ihr mitwill. Ich habe einfach keine Angst mehr, von ihr getrennt zu werden. Ich bin so selbstverständlich hier bei Hanka und Piotr, und natürlich vor allem bei Bożena, als ob ich bei unseren Tanten oder den Großeltern wäre.
    Wir haben uns viel zu erzählen und quatschen miteinander, bis Mama plötzlich sagt: »Du redest ja nur noch Polnisch!«
    »Was?«, frage ich und verstehe nicht, was sie meint.
    »Ich rede Deutsch mit dir und du antwortest auf Polnisch.«
    Das ist mir selbst gar nicht aufgefallen. Aber es stimmt.
     
    Abends erzählt Bożena oft Geschichten. Manchmal sind sie lustig und dann lachen
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