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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut
Autoren: Marcel Feige
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der ältere Bruder des Jungen.
    Nach einem kurzen Moment des Zweifels steuerte der Mann auf den gegenüberliegenden Raum zu. Langsam öffnete er die Tür. Durch einen Vorhangspalt fiel das fahle Licht der Straßenlaterne, in dem die Konturen des Schlafzimmers auszumachen waren. An der Längswand stand ein antiker Kleiderschrank, gegenüber duckten sich zwei Nachttischchen und das Bett, in dem sich unter dem Laken ein Körper abzeichnete.
    Fasziniert blieb der Mann im Türrahmen stehen. Minutenlang beobachtete er die schlafende Frau. Auf dem Boden neben dem Bett lag ein kleines Döschen mit Schlaftabletten. Sehr gut. Das würde die Sache erleichtern.
    Der Mann ging neben dem Bett in die Hocke und hob die Decke an. Die Frau trug ein Nachthemd. Er schob dessen Saum über ihre Oberschenkel, bis ihr Po entblößt vor ihm lag. Dann holte er aus seiner Jackentasche einen kalten, scharfen Gegenstand heraus, der in dem schwachen Licht aufleuchtete.
    Die Klinge senkte sich auf die nackte Haut, ohne Schaden anzurichten. Aber das sanfte Kitzeln ließ die Frau zucken. Mit einem unwilligen Brummen wälzte sie sich herum, so dass ihm jetzt ihr Bauch zugewandt war.
    Entzückt versenkte der Mann die glitzernde Messerspitze in ihren Bauchnabel. Immer tiefer verschwand die Klinge in der schmalen Höhle, bis sie die Haut schließlich aufritzte. Ein winziger Tropfen Blut fiel auf die Matratze und breitete sich auf dem Stoff zu einem kleinen, dunklen Stern aus. Der Mann verstärkte den Druck des Messers, dann ließ ihn ein Geräusch herumfahren.
    In der Tür stand der ältere Junge, die Augen weit aufgerissen.
    »Papa?«
     
    »Zugriff!«, zischte Special Agent King in das Mikrofon seines Headsets.
    Prompt sprangen die Männer hinter den Sträuchern hervor. Gleich darauf wehte der Wind das Geräusch eines leisen, hölzernen Knackens herüber. Das SWAT-Team stürmte zur offenen Tür hinein.
    Robert zählte die Sekunden. Einundzwanzig, zweiundzwanzig. Vom Highway dröhnte die dumpfe Hupe eines Trucks, das Heulen eines Kojoten antwortete darauf. Dreiundzwanzig, vierundzwanzig. Endlich meldete sich eine Stimme aus dem Kopfhörer: »Wir haben ihn.«
    Im Gebäude begann ein Kind zu weinen. Nur eins? Augenblicke später fiel eine zweite Kinderstimme ein.
    »Gott sei Dank«, entfuhr es Robert.
    King schenkte ihm ein Lächeln. »Wir waren also nicht zu spät.«
    In den Zimmern des Hauses gingen nacheinander die Lampen an. Das Licht, das nun die Blumenbeete im Vorgarten erhellte, signalisierte allen Beteiligten, dass die Gefahr gebannt war.
    Wortlos rannte King in das Gebäude, dicht gefolgt von Robert, der seine liebe Not hatte, mit der schweren, schusssicheren Weste seinem Tempo zu folgen. Auf der Treppe kam ihnen die Psychologin entgegen, die einen der Jungen auf dem Arm hielt. Der Kleine war starr vor Angst. Robert verspürte Mitleid mit dem Kind.
    »Wo stecken Sie denn?«, rief King ihm zu.
    Robert hatte nicht gemerkt, dass er auf halber Treppe stehen geblieben war. Er löste seinen Blick von dem Kind und eilte in das Schlafzimmer. Auf dem Boden lag ein Mann, die Hände in Handschellen auf dem Rücken, umringt von hünenhaften SWAT-Männern in Kevlarwesten. Auf ihn zeigten die Waffenmündungen, die Männer waren dazu bereit, ihn bei der kleinsten Bewegung mit Schüssen zu durchsieben. Im Bett daneben saß aufrecht eine wimmernde Frau, deren Blick panisch von einem Uniformierten zum anderen hetzte.
    »Sie sind Mr. Andrew Jacobs?«, fragte King.
    Der Mann antwortete mit einem gequälten Stöhnen.
    »Mr. Jacobs!« Kings Stimme wurde lauter. »Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, sich einen Anwalt zu nehmen. Sollten Sie sich keinen leisten können, bekommen Sie einen Pflichtverteidiger. Haben Sie alles verstanden?«
    Jacobs gab keinen Ton von sich. Ein Bluterguss formte sich bereits auf seiner Stirn, wo ihn die Agenten bei seiner Überwältigung mit Gummiknüppeln getroffen hatten.
    »Schafft ihn raus!«, befahl King.
    Die Einsatzkräfte halfen dem Mörder auf die Beine. Er war nicht sonderlich groß, von hagerer Gestalt, aber gebräunt von der Sonne Nevadas. Irgendwie wirkte er gar nicht wie einer, der seinen Opfern die Haut vom Leibe schälte. Aber wie sollte so ein Killer auch aussehen?
    »Mr. King?«, schallte Blunts Stimme aus dem Erdgeschoss. »Das hier müssen Sie sich ansehen!«
    »Gehen wir«, sagte der Special Agent.
    Robert folgte ihm.
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