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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher
Autoren: Matthias Sachau
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habe mich immer noch nicht entschieden, welchen Text ich Montag in einer Woche bei der Schauspielschulen-Aufnahmeprüfung vorsprechen will. Da muss ich jetzt wirklich mal aus dem Quark kommen.
    Was haben wir hier? Einen Klassiker? Oder lieber irgendwas Exotisches? Vielleicht was aus Wilhelm Tell… Obwohl, nein, da rutscht man zu leicht ins Theatralische ab… Faust?… Hatte ich schon. Zu viele Klischees… Woyzeck?… Ich dreh mich schon wieder im Kreis. Mannomann, die anderen wissen bestimmt schon seit Jahren, was sie vorsprechen wollen. Während ich hier noch grüble, sind die bereits völlig mit ihren Rollen verwachsen. Die erledigen wahrscheinlich schon ihre komplette zwischenmenschliche Kommunikation nur noch mit Goethe-Zitaten…
    Oh, ich muss los! Tobi und Gonzo warten.
     
    *
     
    Die Sonne brennt jetzt herunter, als ob sie testen will, was Berlin eigentlich aushält. Oder will sie uns für das, was wir vorhaben, bestrafen? Ich kauere mit Tobi und Gonzo in einem schattigen Hauseingang in der Reinhardtstraße und wir schminken uns gegenseitig die Gesichter grün. Wir tun es für Geld.
    Die Theaterkantine des Berliner Ensembles liegt gleich bei uns um die Ecke, und immer wenn wir den Einheitsfraß aus den diversen Mensen nicht mehr sehen können, gehen wir hierhin zum Essen. Wie in jeder Kantine gibt es günstige Mitarbeiterpreise. Aber nur, wenn man einer von den Schauspielern oder dem anderen Theatergesocks ist. Das heißt, entweder man hat einen Hausausweis, oder man ist dermaßen kostümiert und geschminkt, dass keiner groß nachfragt. Sonst zahlt man zwei Euro mehr. Wenn man das auf Tobi, Gonzo, Francesco, Hendrik und mich hochrechnet, kommen da jedes Mal zehn Euro zusammen, und aufs Jahr betrachtet läppert sich das. Als Gonzo deswegen eines Tages die bescheuerte Idee hatte, dass wir uns einfach auch verkleiden und schminken, fanden wir das erst mal prima. Am Anfang waren wir auch wirklich sehr kreativ. Vor allem Francesco hat sich immer wieder mit verwegenen Hüten, Umhängen und Glitzer-Accessoires hervorgetan. Aber inzwischen ist irgendwie der Schwung raus. Francesco und Hendrik kommen nur noch selten mit, weil sie keine Zeit mehr haben, und Tobi, Gonzo und mir fällt schon seit zwei Wochen nichts anderes mehr ein als grün angemalte Gesichter. Wenn wir so weitermachen, fliegen wir bestimmt bald auf. Eigentlich müsste sich die Kassendame schon längst mal gefragt haben, in welcher Berliner-Ensemble-Produktion denn bitte schön immer drei Knalltüten mit grün geschminkten Gesichtern auftreten.
    Nach fünf Minuten konzentrierter Malarbeit sind wir bereit für den Auftritt. Gonzo steckt die Schminke ein und wir ziehen los. Auf dem Weg dreht sich kaum einer nach uns um. Leute, die in Berlin-Mitte rumlaufen, sind entweder zu beschäftigt oder haben eh schon alles erlebt oder sehen selbst noch bescheuerter aus als wir. Oft sogar alles auf einmal.
    »Nächstes Mal müssen wir aber wirklich was anderes machen.«
    »Ich weiß schon: dunkelblau und taubengrüne Augenbrauen als farblichen Akzent.«
    »Nein, Gonzo, ich meine, richtig was anderes.«
    »Lauft mal schneller. Ich hab Hunger.«
    Wir huschen über den Berliner-Ensemble-Hof und trappeln die Treppe zur Kantine runter. Dabei versuchen wir, möglichst so auszusehen, als ob wir von harter Probenarbeit gezeichnet sind. Tobi bleibt natürlich wieder minutenlang vor der Menütafel stehen, rückt sich die Brille zurecht und streicht sich über seinen stattlichen Bauch.
    »Hm, Putenbrust. Gabs gestern schon in der Mensa.«
    »Pssst! Nicht von der Mensa sprechen. Wir sind Schauspieler.«
    »Du kannst doch heute noch mal das Gleiche essen.«
    »Ich bin aber gestern davon nicht satt geworden. Der Schock sitzt noch tief.«
    »Dann nimm zwei Portionen.«
    Wir schnappen uns die Tabletts und reihen uns ein. Das Touristengrüppchen in der Schlange lässt uns ehrfürchtig nach vorne und tuschelt aufgeregt herum, weil es uns tatsächlich für echte Berliner-Ensemble-Schauspieler hält. Nur wegen bisschen grün im Gesicht.
    Das Bezahlen klappt zum Glück wieder reibungslos. Wir setzen uns in unsere Stammecke hinten rechts und gabeln los.
    »Sagt mal, habt ihr vielleicht eine Idee, was ich meinem Vater zum Geburtstag schenken könnte?«
    »Das kann doch nicht so schwer sein.«
    »Genau. Er ist doch keine Frau. Der liest nicht zwanghaft überall geheime Signale heraus.«
    »Der freut sich doch bestimmt einfach über einen guten Cognac.«
    »Und zwar ohne lang zu grübeln,
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