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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher
Autoren: Matthias Sachau
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unserer sportbedingten Verdrecktheit noch mit Arnes lächerlich kurzen roten Shorts zu tun, sondern kommt einfach daher, dass wir Männer sind.
    Man muss Julia verstehen. Ihre Mutter ist Professorin am Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Uni oder, mit anderen Worten, an der zentralen deutschen Feministinnen-Kaderschmiede. In dem Alter, in dem andere Mädchen Hanni und Nanni gelesen haben, verschlang Julia bereits alle Standardwerke über die Unterdrückung der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft, und das ist harter Stoff. Wenn man sich da richtig reinfräst, kann man, egal ob Mann oder Frau, gar nicht anders, als in hilfloser Sauwut enden. Und dann ist die Frage, wohin damit? Wo ist der Feind, den ich packen kann? Das ist in anderen Fällen viel einfacher. Kommt einer mit Hakenkreuz daher, kann man sofort seine Fäuste in ihm versenken und dazu brüllen »Der hier ist für Auschwitz, der für den Zweiten Weltkrieg und der für euren unsäglichen Frisurengeschmack«. Damit macht man bestimmt nichts verkehrt. Aber was macht man, wenn man einem Mann begegnet? »Der hier ist für Zwangsheirat, der für Vergewaltigung, der für Ehrenmord und der für das systematische Fernhalten der Frauen von Bildung«? Muss man vorsichtig mit sein, denn nicht jeder Mann und so weiter.
    Könnte ich mir mal eine wirklich anspruchsvolle Frauenrolle aussuchen, würde ich glatt Julia nehmen. Eine Frau, die für ihre Rechte kämpfen will, aber ausgerechnet in einer der, global betrachtet, völlig exotischen Umgebungen lebt, in denen sie und ihresgleichen aufgrund glücklicher kulturgeschichtlicher Fügungen nicht mehr so doll unterdrückt werden. Ein emotionaler Teufelskreis vom Feinsten.
    Eigentlich komisch, dass jemand wie Julia ausgerechnet Tiermedizin studiert – und sich dabei dann auch noch mit jemandem wie Amelie anfreundet und sich von ihr dauernd in eine Männer-WG schleppen lässt. Aber so ist es eben. Alles immer ein bisschen komplizierter, als man denkt, vor allem die Gefühle. Muss man immer im Großen und Ganzen betrachten.
    »So, ich glaub, ich muss dann mal unter die Dusche, ne.«
    »Sieht mir ganz so aus. Machts gut. Ich komm vielleicht nach dem Seminar noch bei euch vorbei.«
    »Bis dann.«
    Seufz. Amelie. Göttin in Brünett, gazellenartigste Tiermedizinstudentin, die je einen Berliner Hörsaal betreten hat, anmutige Tänzerin auf unseren abgetretenen Holzdielen, selbst wenn sie in Birkenstock-Hauslatschen herumschlappt, willige Entgegennehmerin aller Sorgen und Licht meines bisweilen düsteren Daseins unter Geschlechtsgenossen. Kaum zu glauben, dass ein Wesen wie sie viele Jahre die Freundin des dicken Anti-Märchenprinzen Tobi war. Eigentlich nur dadurch zu erklären, dass die beiden dieses klassische Sandkasten-Ding am Laufen hatten. Kannten sich schon immer, mochten sich als Kindergartenkinder, hassten sich in der Grundschule, vertrugen sich wieder, gingen zusammen zum HSV und so weiter. Und dann, eines Abends, beide gerade 16 geworden und Amelies Eltern gerade mal weg, Amelie empfängt Tobi mit einer liebevoll handgefertigten Lasagne bei Kerzenschein, Tobi spielt ihr am Wohnzimmerflügel ein selbstgeschriebenes Lied vor und peng.
    »Peng« stammt übrigens nicht von mir. Tobi hat mir den Beginn ihrer Liebe wortwörtlich so geschildert. Ich vermute stark, dass darin schon etwas von dem steckt, was ihre Beziehung schließlich nach gut fünf Jahren endgültig zum Scheitern brachte. Ich kann mich noch erinnern. Die beiden hatten, sich ohnehin gerade in Krise Nr. 248 befindend, einen Volkshochschulkurs für Kreatives Schreiben gebucht. Was da genau passiert ist, weiß keiner genau, denn weder Tobi noch Amelie haben je irgendjemand was darüber erzählt. Auf jeden Fall haben sie sich gleich nach der ersten Stunde getrennt. Und zwar endgültig.
    Aber nicht, dass Amelie danach weniger präsent bei uns gewesen wäre. Die ersten paar Wochen vielleicht. Aber irgendwie waren sie und Tobi wohl beide ganz glücklich, dass sie das überfällige Ende ganz unspektakulär und ohne die von beiden Seiten jeweils beim anderen befürchteten Selbstmordversuche, Amokläufe und Psychiatrieeinweisungen hingekriegt hatten. Und Amelie kam bald wieder zu uns wie eh und je, nur dass sie nun öfter Julia mitbrachte, sich abends immer verabschiedete und von Zeit zu Zeit heimlich mit Gonzo, Hendrik, Francesco und mir Vorschläge für neue Tobi-Freundinnen diskutierte. So ist sie halt.
    Nun ja, und für mich, der
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