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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher
Autoren: Matthias Sachau
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Seitdem kann der kirgisische Schwarzarbeitertrupp direkt neben uns sein Unwesen treiben, und der Presslufthammerdurchbruch in mein Zimmer gestern war wohl, realistisch betrachtet, nur ein kleiner Vorgeschmack.
    »Tja, ne, der Wohlgemuth.«
    »Der kennt jetzt kein Pardon mehr.«
    »Könntest du mir noch mal die köstliche Himbeermarmelade reichen?«
    Köstliche Himbeermarmelade. Tobi kann so zärtlich sein, wenn er vom Essen redet. Deliziöser Fruchtjoghurt, in höchstem Maße gaumenschmeichelnde Pommes frites, schmetterlingsflügelzarte Leberwurst. Und sobald er einen Leckerbissen in der Hand hält, sieht er ihn, genau wie das Sesamstraßen-Krümelmonster, mit halb verliebtem, halb irrem Blick kurz an (nur dass sich seine Pupillen dabei nicht ganz so wild drehen), und dann schlingt er ihn mit einer Urgewalt herunter, die selbst dem grobmotorischen Blaupelz Respekt einflößen würde – auch wenn Tobi dabei nicht ganz so laut »Njaaamjamjamjamjam!« macht wie er.
    »Tja, der Wohlgemuth, ne.«
    »Der meints jetzt wirklich…«
    »Und tschüss!«
    »Gonzo, du Drecksack!«
    Zu spät. Gonzo hat den täglichen Nach-dem-Frühstück-Wettlauf zu unserer Toilette gewonnen. Unserer einzigen Toilette. Ohne Tageslicht, ohne Lüftung. Ich gehe in mein Zimmer, packe meine Sporttasche und versuche, nicht an das zu denken, was Tobi und mich gleich erwartet. Ein Glück, dass wenigstens Francesco in der Arbeit und Hendrik vor drei Tagen ausgezogen ist, sonst wäre alles noch viel schlimmer.

Fusselbart
     
    Bis zu Arnes Wohnung in der Eichendorffstraße ist es ein Katzensprung. Ich gehe zu Fuß und lasse mir die Sporttasche gegen die Beine schlackern.
    Wie das WG-Leben ohne Hendrik auf Dauer sein wird, kann ich mir irgendwie noch nicht richtig vorstellen. Er war unser Handwerksgenie. Und nicht nur das, er war auch von einem Tatendrang beseelt wie ein Exleistungssportler, der nicht vernünftig abtrainiert hat. So ein Mann spielt in einem Haushalt, in dem dauernd was kaputtgeht, natürlich eine Schlüsselrolle. Aber ich fürchte, der drohende Reparaturstau ist noch nicht mal die schlimmste Folge von Hendriks Abgang Richtung Land-WG in Klein Ziethen. Viel bedenklicher ist der Dunst der Trägheit, der sich mit jedem Tag mehr zwischen uns ausbreitet, seit Hendrik nicht mehr rumhüpft und Hektik verbreitet. Unsere gesamten Hoffnungen ruhen jetzt auf Reto, unserem neuen Mitbewohner aus der Schweiz, der morgen einziehen wird – falls dann das Haus noch steht.
    Ich biege in die Eichendorffstraße ein und stehe nach wenigen Metern vor Arnes Haus, einem öden 50er-Jahre-Wohnriegel, der, nur ein paar Straßenecken von der schicken Friedrichstraße entfernt, seine depressive Aura verbreitet. Auf dem Klingelschild steht immer noch kein Name. Ich hätte Arne wirklich nie und nimmer mit diesem Micha zusammenziehen lassen dürfen, denke ich mir einmal mehr, während ich an die Tür gelehnt geschlagene drei Minuten auf den Summer warte. Als es endlich so weit ist, falle ich mit meiner Sporttasche in den engen Eingangsflur, rapple mich wieder hoch und steige, wie jeden Freitag um diese Zeit, die drei Etagen hoch. Die Wohnungstür steht offen. Ich kämpfe mich durch einen Wust aus leeren Wasserflaschen und Pizzakartons zu Arne und Micha durch. Sie sitzen wie jeden Freitag – und wie jeden anderen Wochentag auch und, nicht zu vergessen, fast jede Nacht – vor ihren Bildschirmen und machen Dinge, die ich nicht verstehe.
    Arne war früher in der Schule mein bester Freund. Bis er seinen ersten Computer bekam. Ab dann war der sein bester Freund. Und Leute wie dieser Micha.
    »Mann, du hast wieder nicht gepackt, Arne.«
    »Hm, was? Schon wieder Freitag?«
    Er sieht nicht mal hoch. Ich gehe in sein Zimmer, krame seine Sportsachen zusammen und schmeiße sie in seinen Rucksack. Wir müssen schauen, dass wir loskommen. Arne sitzt immer noch neben Micha und tippt mit Lichtgeschwindigkeit auf seiner Tastatur herum.
    »Komm jetzt!«
    »Hm? Ja, gleich.«
    Ich lege laut seufzend meinen Zeigefinger auf den Ausschalter der Steckerleiste, die alle Computer im Raum mit Strom versorgt.
    »Zehn, neun, acht, sieben, sechs…«
    Bei »zwei« steht Arne tonlos auf und geht mit mir mit. Er weiß, dass ich es getan hätte. Ich habe es einmal getan. Das hat gereicht.
    Micha bleibt einfach sitzen und tippt weiter, als wäre nichts geschehen.
     
    *
     
    Als wir beim kleinen Sportplatz im Monbijoupark ankommen, sind Fatmir, Göktan, Piotr und die anderen schon da. Wir treffen uns
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