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Kalt, kaltes Herz

Kalt, kaltes Herz

Titel: Kalt, kaltes Herz
Autoren: Keith Ablow
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Markisen, die Hausnummern aus Messing, die frisch gestrichenen Fassaden und schließlich auch die intakten Fensterscheiben. Die Reifen meines Autos glitten nicht mehr über die Straße, sondern rumpelten durch Schlaglöcher. Bevor ich die Stadtgrenze von Lynn passierte, dachte ich stets daran, das Gebläse des Rover auszuschalten, damit der Gestank aus dem undichten Abwasserrohr nicht in den Wagen drang – vermutlich hatten sich darin meilenweit die klebrigen, verfaulten Algen gestaut. Ich legte eine CD von den B-52 ein, schnupfte eine Nase Kokain aus der Ampulle, die ich im Handschuhfach aufbewahrte, und drehte die Musik lauter. Ich nahm die erste Ausfahrt am Lynn Shore Drive, die ins Landesinnere führt, und bog in die Union Street ein. Zehn Blocks voller verrammelter Läden, mit Graffiti beschmierter Wände und Schrottautos. Mein Nacken und meine Schultern entspannten sich allmählich, und mein Atem ging ruhiger. Seit ich denken kann, hat Kaputtheit eine beruhigende Wirkung auf mich, was wohl daran liegt, daß ich in Lynn aufgewachsen bin, als die Stadt vor die Hunde ging. Ich hielt vor der Leichenhalle am Ende der Union Street. Paulson Levitsky, der städtische Gerichtsmediziner, und ich haben zusammen1981 an der Tufts Medical School Examen gemacht. Im Studium hatten wir nicht viel miteinander zu tun, doch meine Kommilitonen und ich bewunderten seine Leistung bei der Sektion seiner Prüfungsleiche, die er U.B. Dead getauft hatte. Er hatte sämtliche Muskeln säuberlich voneinander getrennt und ihren Ursprung und Verlauf mit ordentlichen roten, grünen und violetten Etiketten markiert.
    Die Organe sahen genauso aus wie die Abbildungen in
Gray's Anatomy.
    »Ha, wen haben wir denn da!« rief Levitsky, als ich in den Autopsiesaal kam. »Etwas an dieser Leiche sagte mir, daß du nicht weit sein kannst.« Er zeigte auf einen grauen Körper, der auf dem schimmernden Tisch aus Edelstahl lag. Kevin Malloy, ein Bulle aus Lynn, den ich einmal wegen Gewalt im Dienst angezeigt hatte, überwachte die Autopsie. »Es ist mein Beruf«, antwortete ich. »Ein seltsamer zwar, aber ein Beruf.« Ich mußte lächeln, als ich bemerkte, wie sauber Levitskys Laborkittel trotz seiner augenblicklichen Beschäftigung war. Kein Haar auf seinem Kopf war in Unordnung. Ich ging zum Tisch hinüber.
    Levitsky legte mir die Hand auf die Schulter. »So furchtbare Verletzungen sind mir selten untergekommen, Frank. Und ich mache diesen Job schon eine ganze Weile.«
    »Frankenstein wird sentimental«, sagte Malloy. Seine trockenen, aufgesprungenen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen und entblößten seine gelben Zähne. »Wir wissen ja, was er für ein Menschenfreund ist – wenigstens bei denen, die hundert Dollar pro Stunde rüberschieben können. Die wird Ihnen nichts mehr von ihren Problemen erzählen, Doc. Da können Sie lange warten.« Als Malloy lachte, schwabbelten seine Fettwülste.
    »Jetzt halten Sie endlich das Maul!« fuhr Levitsky ihn an.
    Ich mußte mich am Seziertisch festhalten. »Ich kenne die Frau«, sagte ich. Eine Weile hörte ich nichts als das Surren der Neonröhren. »Sie kennen sie?« fragte Malloy schließlich.
    Ich starrte noch immer die beiden Löcher in ihrer Brust an. Und dann wanderte mein Blick unwillkürlich zwischen ihre Beine. Sie war rasiert. »Sarah Johnston. Psychiatriekrankenschwester im Stonehill Hospital. In der Geschlossenen.« Malloy schlug sich mit der Faust auf die Handfläche.
    »Eine klare Sache also. Ich wette zehn zu eins, daß unser General Westmoreland dort Patient war.«
    »Sie war mit Kathy befreundet«, fügte ich hinzu.
    »Tut mir leid, daß du in die Sache reingezogen worden bist«, sagte Levitsky. »Wir sollten besser Chuck Sloan anrufen. Soweit ich weiß, übernimmt er inzwischen auch Gerichtsfälle.«
    »Nein, ich will dranbleiben.«
    »Bist du sicher?« fragte Levitsky.
    Ich wendete mich von Sarah ab und sah ihn an. »Ich übernehme diesen Fall.«
    »Sag mir Bescheid, wenn du aussteigen möchtest ...«
    Ich nickte.
    »Gut. Dann bringe ich dich erst mal auf den letzten Stand.« Levitsky entnahm der Tasche seines Laborkittels einen ausziehbaren Zeigestab aus Edelstahl und fuhr ihn zu voller Länge aus. Dann sprach er laut in das Mikrophon über dem Tisch. »Eine erste Untersuchung der Verletzungen ergab, daß diese mit einer scharfen, geraden Klinge verursacht wurden. Vermutlich handelt es sich um ein Taschenmesser oder um eine Rasierklinge. Die Einschnitte sind kurz und abgestuft, was darauf
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