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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie
Autoren: Gwen Bristow
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dergleichen gesehen zu haben, und sie ahnte auch nicht im geringsten, was es war. Sie hielt ein flaches Kästchen aus abgeschabtem blauen Samt. Das Kästchen war offen, und im Inneren befand sich ein merkwürdiges Bild. Es stellte in einer sonderbar steifen Manier Menschen dar, die Heiligenscheine um die Köpfe trugen. Das Bild war von einem schmalen, mit Perlen besetzten Goldrahmen umschlossen. Offensichtlich stellte es irgendein religiöses Motiv dar. »Was ist das Florinda?« fragte Garnet.
    »Eine Ikone. Eine Ikone, die seiner Mutter gehörte. Dieser verdammte Idiot! Er gab mir seiner Mutter Ikone!«
    »Was ist eine Ikone?« fragte Garnet bestürzt.
    »Ein Heiligenbild der russischen Kirche. Aber das ist nicht die Hauptsache. Er weiß, daß ich von solchen Dingen gar nichts verstehe. Die Hauptsache ist: Das Ding gehörte seiner Mutter, die tot ist. Er hielt mehr von dieser Ikone als von seinem eigenen Hals. Er würde es beispielsweise nie verkauft haben, und wenn er hätte verhungern müssen. Warum also – in drei Teufels Namen! – gab er es mir?«
    Garnet antwortete nicht; sie hatte keine Ahnung, was sie hätte antworten können. Florinda und sie hatten viel miteinander und nebeneinander durchgemacht, aber dies war das erste Mal, daß Garnet die Freundin so unbeherrscht sah.
    »Ist er wirklich fort?« keuchte Florinda, »bist du sicher, daß er fort ist?«
    »Ja gewiß«, antwortete Garnet, »das weiß du doch. Gewiß ist er fort.«
    »Gut für ihn!« knirschte Florinda. »Ich hätte ihm sonst das Ding hier in sein dummes Gesicht geworden. Dieser verrückte Strolch! – Ist jemand in der Küche?«
    »Nein.«
    »Gott sei Dank! Ich brauche Platz, um mir Luft zu schaffen. Dieses atlasblaue Riesenbaby! Gibt mir die Ikone seiner Mutter!«
    Florinda ergriff das blaue Seidentuch und verließ die Bar; Garnet folgte ihr. Die Küche bot nicht viel Platz, um sich auszutoben, weil der Tisch den größten Teil des Raumes einnahm. Florinda durchmaß den freien Raum mit langen Schritten, das blaue Tuch flatterte an ihrem Arm, das Samtkästchen mit dem goldgerahmten Bild hielt sie in der Hand. »Dieser verdammte Goliath!« rief sie; »was in drei Teufels Namen, soll ich mit dem Ding anfangen? Die Ikone seiner Mutter! Ich möchte ihm gerne sein dickes Genick umdrehen. Jetzt geht er nach Rußland, und ich kann ihm nicht einmal sagen, was ich von ihm halte! Dieses Ausstellungsstück von einem Kerl!« Sie brach ab, und plötzlich sah Garnet zu ihrer grenzenlosen Verblüffung, daß ihr Ströme von Tränen über die Wangen liefen. Florinda fuhr sich mit dem blauen Tuch über das Gesicht. »Dieser Holzfällerochse!« schluchzte sie; »stellt so eine verrückte Geschichte an!« Garnet wußte nicht im geringsten, was das alles bedeutete. Sie ging völlig verwirrt zu Florinda hinüber und versuchte ihr einen Arm um die Schulter zu legen, aber Florinda sprang wie von der Tarantel gestochen zurück.
    »Nun werde du bloß nicht auch noch sentimental!« schrie sie. »Ich bin mir in meinem ganzen Leben noch nicht so verdammt närrisch vorgekommen. Und eben das wollte er. Er wollte, daß ich mir wie eine Idiotin vorkommen sollte. Er wollte mich zum Heulen bringen. Darum hat er mir das Ding da gegeben.« Sie schluchzte immer noch, und die Tränen stürzten ihr immer noch aus den Augen. Sie wischte sie mit dem blauen Seidentuch ab.
    »Ich habe dich noch nie weinen sehen«, flüsterte Garnet.
    »Nein, und du wirst es auch nicht wieder sehen«, heulte Florinda. »Das hat er gewollt, dieser verdammte Wasserkopf! Ich könnte ihn in den Bauch treten. Wie weit ist’s bis St. Petersburg?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Garnet. »Ich glaube, er sprach von etwa zehntausend Meilen; erinnerst du dich nicht?«
    »Ich wollte, es wären zehn Millionen Meilen. Ich hoffe, er ersäuft unterwegs. Ich hoffe, er wird von Piraten gefangen und an Schiffsplanken festgebunden. Ich hoffe, die Wale fressen ihn. Ich hoffe, er bekommt Skorbut und verliert alle Zähne. Dieses Krokodil! Dieser größenwahnsinnige Narr! Er sagte, er gäbe mir das Ding da, weil ich ein gutes Mädchen sei. Hölle und Frikassee! Warum redet er so einen gottverdammten Quatsch? Ich bin meiner Lebtage nicht gut gewesen. Ich habe nicht mit Männern geschlafen, seit ich in Los Angeles bin, weil mir hier kein Mann begegnet ist, den ich zum zweitenmal hätte ansehen mögen. Schafft mir einen Mann, der gut aussieht und Geld hat, und ihr werdet sehen, wie gut ich bin. Dieser russische Analphabet!
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