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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie
Autoren: Gwen Bristow
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nimm ihn in Deinen Schutz, lieber Gott! Laß ihn sicher in seiner Heimat ankommen! Laß alle Menschen gut zu ihm sein und laß ihn glücklich werden. Ich weiß nicht, ob ich möchte, daß er zurückkommt. Ich bin ganz ehrlich, lieber Gott, ich weiß es nicht. Er hat gesagt, es könnte zehn Jahre dauern. In zehn Jahren werde ich sechsunddreißig sein, und nur Du weißt, wie ich dann aussehen werde. Aber auch dann, wenn ich noch schön sein sollte, weiß ich nicht, ob ich wünschen soll, daß er zurückkommt. Ich muß das Dir überlassen. Aber was er auch tut, ob er dort bleibt oder ob er zurückkommt nach hier, bitte laß ihn glücklich sein. Laß ihn glücklich sein, solange er lebt! Amen!«
    ***
    Garnet saß auf der Wandbank in ihrem Zimmer und sah durch das Fenster auf die Straße hinaus. Sie sah die schwerfälligen Ochsenkarren, die in der Sonne hockenden Müßiggänger und die schreienden Digger, die Wasser verkauften. Über den mannigfachen Geräuschen der lärmenden Stadt kam ihr die leise vor sich hinplärrende Stimme Stephens nicht aus dem Ohr. Stephen hockte unten auf der Veranda und spielte. Das da draußen war Los Angeles. Welch eine häßliche, von widerlichen Gerüchen erfüllte Stadt! Hier mündete der große Treck, der Jubelpfad. Man verließ die Staaten irgendwo, zog westwärts und kam nach Independence. Man verließ Independence und zog weiter nach Westen bis Santa Fé. Man verließ Santa Fé und zog über den Jubelpfad nach Los Angeles. Man verließ Los Angeles mit einem anderen Treck und ritt – wohin?
    Sie wußte es nicht. Sie wußte nur: Am Ende jedes Trecks begann schon der neue. Nie wußte man, wohin der Pfad führte. Aber man mußte ihn gehen. Man wußte nur eines ganz sicher: Man war kein kleines Mädchen mehr. Keinen Pfad würde man mehr so unbefangen und unbeschwert, seines Glückes sicher, betreten wie einst den Jubelpfad.
    Oh, wie schwer das doch ist! dachte Garnet. Wie schwer ist es, das hinter sich zu lassen: die Jugend und die Erwartung auf das Kommende, bevor man noch weiß, was das Leben ist. Wir sehen den Pfad und wir betreten ihn freudigen Herzens, glücklich und unbesorgt, eben weil wir nicht wissen, wohin er uns führt. Sieh auf Los Angeles, Garnet. Sieh auf dieses Gewirr putziger brauner Schachteln vor der majestätischen Kulisse der Berge. Du liebst doch, was du da siehst. Du liebst es, weil du hier reiche und volle Jahre deines Lebens verbringen durftest. Du liebst diese bewegte, farbige Sinfonie, deren Töne dir ins Herz drangen und es verwandelten. Du hast es gehaßt und du hast alles darangesetzt, es hinter dich zu bringen. Ach, wir hassen ja immer das Schulzimmer, in welchem wir unsere Lektionen empfangen. Aber hinterher lieben wir es, weil wir hier lernten, was das Leben ist, weil wir ihm unsere Kraft und unsere Selbstsicherheit verdanken. Als ich den Jubelpfad betrat, war ich nicht reif und gerüstet für ihn. Bin ich gerüstet für den neuen Pfad, der sich jetzt vor mir auftut? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, ich bin älter geworden. Viel älter, als der Kalender mir sagt. Älter um dreitausend Meilen, die ich durchritt und um Tausende und aber Tausende Stunden, in denen ich einsam und verlassen war und an der Welt verzweifeln zu müssen glaubte. Ich bin nun nicht mehr einsam, denn ich habe John. Nein, einsam bin ich nicht mehr, aber voller Furcht bin ich noch. Furchtsam bin ich, weil ich so viel lernen und erfahren mußte, von dem ich nichts ahnte. Wenn man jung und unbeschwert ist, kennt man keine Furcht, wenn man älter wird, weiß man, daß man die heimliche Furcht fühlen wird, solange man lebt. Sie sah aus dem Fenster, und plötzlich gewahrte sie John. Er kam vom Haus des Alkalden zurück. Gleich würde er ihr sagen, wann sie heiraten könnten. Sie richtete sich auf und kniete sich auf die Wandbank. Sich zwischen den Fensterläden hinausbeugend, rief sie: »John!« Er hörte die Stimme und verhielt den Schritt. Er wußte wohl nicht, woher die Stimme kam, denn er sah sich um. Sie rief abermals: »John!« Er blickte auf und gewahrte sie. Sein Gesicht leuchtete auf. Er winkte ihr zu und sie winkte zurück. »Morgen«, rief er, »morgen!« Er winkte ihr, herunterzukommen. Sie nickte ihm zu und verließ das Fenster. Als sie die Treppe hinunterlief, fühlte sie sich von kleinen Glücksschauern überrieselt. Morgen würde sie verheiratet sein und der neue Pfad würde sich vor ihr auftun. Der Pfad zu den Goldfeldern. Was würde er ihr bringen?
     
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