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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie
Autoren: Gwen Bristow
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auf einen der bequemen Lehnsessel am Kamin. »Du lieber Himmel!« rief sie, »was haben die Jungen da wieder angestellt?« Sie beugte sich über den Sessel, dessen Mahagonilehne einige empfindliche Kratzer aufwies. »Es ist unglaublich, wie diese kleinen Wilden sich aufführen«, seufzte sie; »wenn man sieht, was sie alles anrichten, sollte man meinen, wir unterhielten hier ein Gymnasium.« Sie schlug spielerisch nach dem Stuhl und ging zur Tür zurück. »Ich werde bei Osgoods vorbeigehen und ihn abholen lassen.« Im Türrahmen wandte sie sich noch einmal um. »Oh«, rief sie, »beinahe hätte ich es vergessen; ich wollte dir etwas sagen.« Und ohne zu ahnen, welch wichtige Neuigkeit sie da brachte, sagte sie: »Hier ist eine Warenliste für Mr. Hale. Vater ließ sie für ihn zurück. Mr. Hale wird im Laufe des Vormittags vorbeikommen, um sie zu holen.«
    Garnet fühlte ein heimliches Beben in ihrem Rücken; sie nahm die Papiere und mühte sich, ein höflich interessiertes Gesicht zu machen. »Danke, Mutter«, sagte sie, »ich werde sie Mr. Hale aushändigen, wenn er kommen sollte.«
    »Sieh zuweilen nach dem Feuer, Kind; es ist empfindlich kalt.« Mrs. Cameron nickte lächelnd und warf ihrer Tochter eine Kußhand zu. Als Garnet allein war, legte sie die zusammengefalteten Papiere auf den Tisch. Dann ging sie zurück zum Klavier und spielte einige Musiktakte durch; aber als sie die Haustür zuschlagen hörte, ließ sie die Hände in den Schoß fallen. Sie ging zum Tisch, entfaltete die Papiere und vertiefte sich in die Handschrift ihres Vaters.
    Es handelte sich um ein Verzeichnis der Waren, die Oliver aus dem Nachlaß des erschossenen Mr. Selkirk erworben hatte. Zweitausend Ballen Kaliko, las sie, sechshundert Ballen weißer Musselin, vierhundert Bratpfannen, tausend Päckchen Nähnadeln. Sie ging Posten um Posten durch und legte die Liste wieder auf den Tisch. Stoffe und Nadeln und Bratpfannen – das konnte sie verstehen. Aber da hingen auch mancherlei Dinge mit Olivers Handel zusammen, die sie nicht verstand.
    Sie hatte schon viele Fragen dieserhalb an ihn gerichtet, und er hatte sich redliche Mühe gegeben, sie zu beantworten. Aber sie wußte so wenig von der Prärie und von den Ländern, die er gesehen und in denen er gelebt hatte, daß sie ihm nur schwer zu folgen vermochte. Natürlich hatte sie in der Schule auch Geographieunterricht gehabt. Sie wußte alles Wissenswerte über die Staaten entlang der atlantischen Küste; auch über die wichtigsten Städte am Mississippi, wie New Orleans und St. Louis, hatte sie einiges gehört. Aber von dem Land jenseits des Mississippi hatten ihre Lehrer nicht das geringste zu sagen gewußt.
    Sie machte sich klar, daß ihr jetzt die Gelegenheit geboten war, diese unbekannten Bereiche kennenzulernen. Ihr Vater hatte unlängst einen Globus für ihre Brüder gekauft; er war gestern angekommen und stand oben im Jungenzimmer. Die Jungen waren in der Schule; Garnet entschloß sich, den Globus herunterzuholen. Kurz entschlossen ging sie nach oben. Der Globus war schwerer, als sie gedacht hatte; sie mußte sich anstrengen, ihn ins Wohnzimmer zu schaffen. Schließlich stand er vor ihr auf dem Tisch und drehte sich unter ihren Händen.
    Garnets rechte Hand bedeckte den Atlantischen, ihre linke den Pazifischen Ozean. Zwischen ihren Händen breitete sich der nordamerikanische Kontinent aus. Eine Falte des Nachdenkens erschien auf ihrer Stirn zwischen den Augenbrauen, während sie aufmerksam die Karte studierte.
    Auf der Ostseite des Kontinents lagen die fünfundzwanzig Staaten der Union und einige freie Territorien. Dahinter zog sich die dicke schwarze Linie, die den Mississippistrom darstellte, von Norden nach Süden. Westlich des Mississippi sah sie die Flußlinien des Missouri und des Arkansas verzeichnet, die beide in den Vater der Ströme mündeten. Garnet wußte, daß der bewohnte Teil der Vereinigten Staaten am Missouri endete. Oliver hatte gesagt, daß die kleinen Städte am Missouri die amerikanische Grenze bildeten. Zwar gab es auch jenseits des Flusses noch Gebiete, die zur Union gehörten, aber sie wurden nicht mehr von Weißen bewohnt. Auf der Landkarte waren sie mit den Namen der dort jagenden Indianerstämme verzeichnet.
    Südlich des Missouri floß der Arkansas nach Osten. Das Territorium der Union endete bei einer Linie, die vom Arkansas gezogen wurde. Jenseits dieser Linie war alles fremd. Nach Süden zu lag da die Republik Texas. Unterhalb Texas’ lag Mexiko.
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