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Kalifornische Sinfonie

Kalifornische Sinfonie

Titel: Kalifornische Sinfonie
Autoren: Gwen Bristow
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Mexiko war ein großes Land. Auf dem Globus begann der Name südlich von Texas und erstreckte sich entlang der pazifischen Küste bis zu einer großen freien Fläche im Nordwesten, die als Oregongebiet bezeichnet war.
    Der Globus informierte ausgezeichnet über die östliche Hälfte des Kontinents. Aber er sagte Garnet wenig über den Westen. Da war nichts als eine große elfenbeinfarbene Fläche, auf der im Bereich der pazifischen Küste in großen Buchstaben ›Mexiko‹ und ›Oregongebiet‹ standen. Quer über die Fläche zog sich, gleichfalls in großen Buchstaben, eine weitere Beschriftung. Garnet las: G ROSSE AMERIKANISCHE W ÜSTE. Garnet hatte in der Schule nichts über die westliche Hälfte Amerikas gehört. Bevor Oliver in ihrem Leben auftauchte, hatte sie auch niemals darüber nachgedacht. Jedermann wußte oder glaubte zu wissen, daß es dort außer Wäldern und Ebenen und Büffeln und streifenden Indianerhorden nichts Wissens-oder Bemerkenswertes gäbe. Nun sagte Oliver Hale, daß es dort außer Büffeln und Indianern allerlei Bemerkenswertes gäbe. Er behauptete, daß die weite elfenbeinfarbene Fläche, die auf dem Globus keinerlei Spuren aufwies, keineswegs ohne Spuren menschlichen Lebens und menschlicher Tätigkeit sei. Nach seiner Erzählung zog sich eine lange, dünne Linie quer durch das Land, hervorgerufen durch die fortgesetzten Umdrehungen zahlloser Wagenräder. In jedem Frühling, bald nach der Schneeschmelze, zögen, so hatte er gesagt, zahllose Handelskarawanen über das Gebirge nach Westen.
    Bis zu ihrer Bekanntschaft mit Oliver hatte Garnet nie etwas von Männern gehört, die in langen und mühevollen Märschen ihre Waren weit über die amerikanische Staatengrenze nach Westen führten. Oliver wußte, daß es so war, denn er war selbst ein Präriehändler. Er war in dem geheimnisvoll fremden und unbekannten Land mit dem schönen, klingenden Namen Kalifornien gewesen.
    Mit finsteren Blicken sah Garnet auf den Globus. Es war der beste Globus, den es gegenwärtig gab. Die neusten Forschungsergebnisse waren darauf verzeichnet; er war für den Geographieunterricht des Jahres 1845 bestimmt. Aber es gab auf diesem modernsten Abbild der Weltkugel nirgendwo ein Land, das Kalifornien hieß. Sie folgte mit den Augen dem Lauf des Missouri und Arkansas, sie prüfte aufmerksam die Gebiete von Mexiko und der Republik Texas. Sie untersuchte die ganze Küstenstrecke bis zum westlichen Kanada. Sie fand es nicht.
    Oliver hatte gesagt, daß er acht Jahre in Kalifornien gelebt habe, und daß er im Sommer dorthin zurückkehren würde. Sie konnte nicht glauben, daß er alles Erzählte nur erfunden habe, um vor ihr zu prahlen oder um sie zu necken.
    Dennoch war sie einer Sache sicher: Ein Land Kalifornien gab es nicht auf dem Globus.
    Zweites Kapitel
    Oliver stand am Kamin und stützte seine Ellenbogen auf den Sims. Er war vor zwanzig Minuten gekommen. Garnet beugte sich wieder über den Globus.
    Sie hatten eine Zeitlang geschwiegen. Oliver war ganz zufrieden, nicht reden zu müssen. Er sah das Sonnenlicht auf Garnets blauschwarzem Haar und auf ihren rosigen Wangen spielen und freute sich an dem Anblick.
    Garnet sah vom Globus auf und sah ihn an. »Darf ich etwas fragen, Mr. Hale?« sagte sie.
    Er lachte; seine wilden, sandfarbenen Locken hingen ihm in die Stirn. Er war nun schon drei Monate in New York, aber die Präriesonne hatte seine Haut so tief gegerbt, daß seine Stirn immer noch erheblich dunkler war als sein Kinn. Er betrachtete sie so fröhlich und unbekümmert, wie er es in Gegenwart ihrer Eltern nie gewagt hätte. »Fragen Sie immerzu«, sagte er.
    Zwischen Garnets Brauen stand eine Falte. »Haben Sie mich zum besten gehabt?« fragte sie. »Gibt es das Land Kalifornien, von dem Sie mir erzählten, wirklich?«
    Jetzt runzelte auch er die Stirn. »Zum besten gehabt?« sagte er. »Was soll das heißen? Wie kommen Sie nur darauf? Ich wohne in Kalifornien.«
    »Ja, das sagten Sie. Aber wenn es ein Land dieses Namens gibt, warum ist es dann nicht auf der Karte oder auf dem Globus verzeichnet?«
    Die Falten verschwanden von seiner Stirn; er lachte sie an: »Ich sagte Ihnen, daß Kalifornien einer der am wenigsten bekannten Flecke der Erdoberfläche sei.«
    »Aber wo liegt es?«
    Er kam heran und legte einen seiner rauhen, verarbeiteten Finger auf den Globus. »Hier«, sagte er, einen Streifen an der pazifischen Küste bezeichnend. »Kalifornien ist keine selbständige Nation«, fuhr er fort; »es ist die
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