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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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undurchdringliches Karree von Leibwachen um das Luftschiff im Zentrum, den gigantischen Trägerzeppelin Luftmarschall von Richthofen . Unter den Zuschauern am Boden machten stolze Bemerkungen über das modernste und größte Luftschiff der Welt, das in seinem Inneren eine ganze Staffel Jagdflugzeuge trug, die Runde. Keiner erinnerte sich in diesem Moment daran, dass die majestätische Richthofen ursprünglich dazu ausersehen gewesen war, den Namen des ersten Generalinspekteurs der Jagdflieger zu tragen; aber dann waren die Verantwortlichen in Berlin doch davor zurückgeschreckt, einen Zeppelin nach jemandem zu benennen, der Luftschiffe stets abschätzig als lächerliche Gasballons bezeichnet hatte und der auch sonst durch eine unangenehme Neigung zu Prahlerei und Selbstverliebtheit aufgefallen war. Also hatte man entschieden, dass der Stolz der Reichsluftflotte doch nicht General Göring heißen sollte.
    Der Überschwang angesichts der würdevoll dahinziehenden Zeppeline war groß, besonders kräftige Ovationen galten der sehr viel tiefer fliegenden Kronprinzessin Sophie Viktoria . Sie war für die Bürger Lübecks und die Bewohner des Umlands eine vertraute Erscheinung; dass sie entgegen früheren Ankündigungen nun doch an der Kaisertagsparade teilnahm, dazu noch in so bevorzugter Position, war eine ganz besondere Überraschung, die mit reichlich Jubel quittiert wurde. Und es dachte sich auch niemand etwas dabei, dass der Bombenschacht des Luftkreuzers geöffnet war.
    Dann fiel die Bombe aus dem Bauch des Schiffes.
    Die Luftflottensoldaten unter den Zuschauern erkannten es als Erste. Einige von ihnen riefen es laut aus, aber ihre Stimmen gingen noch im Geräuschmeer der Begeisterung unter, bis immer mehr Leute begriffen, was für ein dunkler Gegenstand da herabstürzte, auch wenn sie nicht ahnten, dass es eine Atombombe war.
    Der Beifall verebbte und wich einer Stille, in der sich das ungläubige Entsetzen Tausender staute. Drei Sekunden fiel die Bombe, fünf, sieben Sekunden; unfassbar langsam und dennoch viel zu schnell wurde der kleine Fleck am Himmel größer, bekam feste Konturen, raste mit einem lauter und lauter werdenden, durchdringenden Heulen unaufhaltsam dem Boden entgegen.
    Die Kapelle verstummte. Nur die Fanfarenstöße, die den Festzug ankündigten, waren noch zu hören. Über den Hanseplatz aber hatte sich entsetzte Stille gelegt, durch die das Pfeifen der fallenden Atombombe wie ein Skalpell hindurchschnitt. Niemand hatte erwartet, was nun geschah. Niemand wusste, wie er reagieren sollte. Es gab keine Panik, nur vollkommene Lähmung.
    Dorothea Wehnicke, die sich einen Platz mit gutem Blick auf den Kaiser gesichert hatte, fiel in Ohnmacht. Niemand hielt sie fest, als sie auf den Kiesboden niedersank.
    Erwin Rommel saß wie versteinert; nur seine Augen bewegten sich und folgten der Bombe auf ihrem Weg abwärts. Jeder Gedanke war aus seinem Kopf verschwunden, verschluckt von einer großen, dunklen Leere.
    Friedhelm Boyens drückte auf den Auslöser seiner Kamera. Als der Verschluss klickte, fragte er sich, ob er diese Fotografie überhaupt je entwickeln würde.
    Herbert Frahm schloss die Augen. Seine Lippen formten stumm die Worte: Alles vergebens.
    Die Bombe schlug mitten auf der freien Fläche vor der Tribüne auf. Mit fürchterlichem Lärm rammte sich der tonnenschwere Körper in die Erde, Sand und Kies flogen nach allen Seiten, wurden hoch in die Luft geschleudert und prasselten auf die vordersten Reihen der starr stehenden Menschen nieder.
    Doch sonst passierte nichts.
    Eine dicke graue Staubwolke hing über der Aufschlagstelle. Als sie sich aufzulösen begann, wurde der Große Kurfürst sichtbar. Er hatte sich tief in den Boden gebohrt, seine Verkleidung aus Stahlblech war verbogen, geplatzt und grotesk verformt. Der dicke Bleimantel jedoch, der verhinderte, dass die todbringende Strahlung des Urans nach außen drang, war intakt geblieben; aber es ahnte ohnehin noch niemand, was im Inneren dieser Bombe steckte.
    Ein einziges langes Aufatmen ging durch die Menge, und schon drängten die Ersten vor, um das deformierte Metallungetüm aus der Nähe zu betrachten. Die Feldgendarmen erwachten auch wieder aus ihrer Erstarrung und bildeten schnell einen Kordon um die Bombe, um alle Neugierigen auf Abstand zu halten.
      
    »Laufen Sie zum nächsten Funkwagen, den Sie finden«, befahl Erwin Rommel seinem Adjutanten. In das Gesicht des alten Feldmarschalls war wieder Farbe zurückgekehrt, seine hellen
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