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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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ihr zu helfen; auf Händen und Knien krochen sie hinüber zu den Gasflaschen, und Yvonne Conway überflog die mit Schablonen aufgemalten Beschriftungen. Sie wies dann auf die ganz zuvorderst liegende Flasche mit der Aufschrift Sauerstoff – 200 bar.
    Alexandra konnte sich noch nicht zusammenreimen, was die Engländerin vorhaben mochte, aber sie beeilte sich dennoch, alle Anweisungen zu befolgen, die Yvonne Conway ihr durch Handzeichen gab. Gemeinsam rollten die beiden Frauen die schwere Gasflasche hinüber zu den Zementsäcken und wuchteten sie, mit der verschlossenen Öffnung an der Spitze nach unten, auf die Palette. Es ging nicht ohne Geräusche ab, doch der Lärm des sich nur zwanzig Meter entfernt hinter den Häusern entlangwälzenden Festzugs verschluckte alles. Die Wachen vor dem Kircheneingang bemerkten nichts und rührten sich nicht von der Stelle, wie sich Yvonne Conway bei einem erneuten Blick zwischen den Säcken hindurch vergewisserte. Daraufhin griff sie in die Werkzeugkiste und holte einen übergroßen Schraubenschlüssel hervor. Sie umklammerte den stählernen Schaft fest mit beiden Händen, holte weit aus und schlug die Abdeckkappe und den Verschluss der Gasflasche ab.
    Sofort strömte der unter Hochdruck stehende Sauerstoff mit einem grellen Fauchen aus der Öffnung. Wie eine Rakete schoss die Flasche die Palette hinauf und flog in hohem Bogen durch die Luft, genau auf die beiden Männer am Portal zu. Die Wachen konnten gar nicht schnell genug begreifen, was passierte. Einer warf sich instinktiv zu Boden, der andere blieb wie angewurzelt stehen.
    Die Gasflasche raste mit einem ohrenbetäubenden Krachen über ihnen in das Mauerwerk. Scharfkantige Ziegelbruchstücke flogen wie Schrapnellsplitter umher und rissen den aufrecht stehenden Sonderbrigademann in Fetzen. Sein Kamerad wurde von herabstürzenden, kopfgroßen Trümmerklumpen aus Backsteinen und Mörtel erschlagen.
    »Mein Gott!«, murmelte Alexandra Dühring verstört, als sie mit Yvonne Conway hinter den Zementsäcken hevorkam und die beiden entstellten Toten inmitten der langsam zu Boden sinkenden Wolke aus rotem Ziegelstaub sah.
    »So eine Wirkung hatte ich nicht erwartet«, meinte die Engländerin tonlos. »Das ist … grässlich.«
    Die Polizeipräsidentin zwang sich, die verstümmelten Leichen nicht anzusehen, und lief zwischen den Trümmern hindurch zur Eingangstür der Kirche. »Kommen Sie! Das hat uns schon genug aufgehalten. Wir müssen auf den Turm, ehe es zu spät ist!«
      
    »Lassen Sie mich endlich passieren! Können Sie denn nicht hören? Ich habe Ihnen schon mindestens zehnmal gesagt, dass ich dem Feldmarschall eine Mitteilung überbringen muss!«
    Immer lauter und gereizter redete Paul von Rabenacker auf den bulligen Feldwebel ein, doch der Feldgendarm machte keine Anstalten, den Oberst durch die Postenkette zu lassen. »Ich bedauere, Herr Oberst. Aber wir haben strikten Befehl, niemandem Durchlass zu gewähren«, war das Einzige, was er von sich gab.
    Rabenackers Gesicht begann, sich vor Wut rot zu verfärben. Er sah hinüber zu Victor von Bülow, den er aufgelesen hatte, als er sich mühsam einen Weg zwischen den neugierig drängelnden und schiebenden Zuschauern gebahnt hatte; aber Bülow war ebenso ratlos.
    Die Begrüßungszeremonie war jetzt beendet. Angeführt vom Kaiser und dem Bürgermeister setzte sich die kleine Prozession der Ehrengäste unter erneutem Beifall in Bewegung, die Treppe der Tribüne hinauf. Rabenacker glaubte, zwischen den Jubelrufen und den schmetternden Klängen der Regimentskapelle irgendwo über sich schon das nahende Brummen eines tief fliegenden Luftschiffs zu hören. Die Uhr lief ab, er musste sofort zu Rommel gelangen. Daran würde ihn kein sturer Kommisskopf hindern können.
    Er machte einen plötzlichen Satz nach vorne und versuchte, die Posten zu überrumpeln, indem er einfach unerwartet zwischen ihnen hindurchlief. Doch sein verletzter Fuß, an den er über allem anderen gar nicht mehr gedacht hatte, ließ ihn straucheln. Sogleich packten ihn von beiden Seiten Feldgendarmen.
      
    Gerade wollte Senator Kaacksteen gemeinsam mit den übrigen Ehrengästen dem Kaiser auf die Tribüne folgen, als er aus dem Augenwinkel ganz zufällig etwas wahrnahm, das seine Aufmerksamkeit erregte. Nur etwa dreißig Meter entfernt, wo eine Postenkette die Zuschauer von der Freifläche vor der Ehrentribüne trennte, hielten zwei Feldgendarmen einen Offizier fest, der sich dagegen offenbar heftig zur Wehr
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