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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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war selber Flieger und wusste, dass bei der Luftflotte andere, weniger rigide Maßstäbe für die Disziplin galten als etwa bei der Infanterie. Das hier aber ging zu weit. Er würde die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Doch vorerst musste er Haltung bewahren und aus voller Kehle weitersingen.
      
    … Heil, Kaiser Dir! Fühl in des Thrones Glanz …
    Ein letztes Mal kontrollierte Friedrich Prieß mit zittrigen Fingern, ob er auch keine der Schnallen und Verschlüsse vergessen hatte. Er wollte nicht irgendwo zwischen Himmel und Erde plötzlich den Fallschirm verlieren. Aber alles war genau, wie es sein sollte; die Gurte, die den leinernen Tornister mit dem zusammengefalteten Schirm aus Kunstseide auf seinem Rücken hielten, waren allesamt festgezurrt. Ein wenig war er stolz darauf, dass er auch nach zwanzig Jahren noch die ganze komplizierte Prozedur zum Anlegen des Fallschirms beherrschte. Und das, obwohl er sich redlich bemüht hatte, alles zu vergessen, was mit seinem ersten und einzigen Absprung zusammenhing.
    Nun stand er am Rand der schmalen Plattform aus Metallgittern. Vor seinen Füßen klaffte das große Loch, das der abstürzende Soldat in der Abdeckung der Ladeluke hinterlassen hatte. Die ausgefransten Ränder des mürben Gewebes flatterten steif und mit lautem Knattern im Wind. Durch die Öffnung konnte Prieß dichte, tiefgrüne Baumkronen ausmachen, zwischen denen sich ein fast schwarz wirkendes Gewässer im Zickzack entlangschlängelte. Alles war beängstigend klein.
    »Na dann«, murmelte Prieß bedrückt, »ich muss ja wohl.«
    Er nahm die Reißleine in die Hand, um den Fallschirm nach dem Sprung aus dem Luftschiff gleich öffnen zu können, und biss verkrampft die Zähne zusammen.
    »Du also!«
    Friedrich fuhr zusammen und blickte erschrocken auf. Am gegenüberliegenden Ende des Frachtraums, wo der Laufgang im Tunnel zwischen den Gaszellen verschwand, stand Maximilian Sonnenbühl. Und selbst im matten Halblicht war der blanke Hass in seinen Zügen überdeutlich zu erkennen.
    »Du bist geliefert!«, schrie Sonnenbühl; seine Stimme überschlug sich und wurde blechern von allen Seiten zurückgeworfen. Prieß sah ihn nach der über die Schulter gehängten Maschinenpistole greifen und warf sich rasch hin. Er krallte die Finger in den Gitterboden und hörte das harte Bellen der rasch aufeinanderfolgenden Schüsse. Und er wartete darauf, von den Kugeln zerfleischt zu werden.
    Doch die Geschosse gingen über ihn hinweg, zersiebten die Gaszellen oder prallten mit grellem Klirren von Metallträgern ab. Nur ihn trafen sie nicht. Blindlings feuerte Sonnenbühl dorthin, wo Friedrich Prieß eben noch gestanden hatte; erst als er das Magazin der Maschinenpistole völlig entleert hatte, bemerkte er seinen Fehler. Voller Wut schleuderte er die nutzlose Waffe fort und fasste nach dem Pistolenhalfter an seinem Koppel.
    Prieß erfasste seine Chance und sprang auf. Er zog die kleine Pistole aus der Tasche; doch sie glitt ihm aus den Fingern und fiel über den Rand der Plattform in die Tiefe.
    Inzwischen hatte Sonnenbühl seine Mauser gezogen und richtete sie mit einem irren Lachen auf den Detektiv.
    Gott, lass ihn bitte immer noch einen so schlechten Pistolenschützen sein wie damals! , jagte es durch Prieß’ Gehirn.
    Hastig wirbelte er herum und lief in den von Gaszellen umgebenen Wartungsgang in Richtung Heck, nur weg von Maximilian Sonnenbühl. Hinter ihm knallte es, und die erste Kugel traf nur dreißig Zentimeter neben seinem Kopf auf einen Duraluminiumträger.
      
    … die hohe Wonne ganz …
    Paul von Rabenacker hatte sich durch die Reihen der ergriffen singenden Gäste auf der Ehrentribüne gedrängt und stürzte nun auf den Feldmarschall und Wilhelm V. zu.
    »Aus dem Zeppelin da soll die Atombombe abgeworfen werden«, röchelte er atemlos, »und der Scharfschütze ist auf dem Turm von St. Petri!«
    Der vollkommen überraschte Kaiser blickte den Oberst fragend an. Erwin Rommels faltiges altes Gesicht wurde mit einem Schlag weiß.
      
    … Liebling des Volks zu sein …
    Der Schütze wurde unruhig. Er hörte hinter sich die Schritte im Turm dröhnen, Schritte von zwei Personen, die sehr eilig die stählerne Treppe hinaufliefen und jeden Moment die Aussichtsplattform erreichen würden. Es konnten unmöglich seine Kameraden sein, sie hätten nie beide zugleich ihre Posten verlassen. Aber wenn sie es nicht waren, wer dann? Niemand konnte sich Einlass zur Kirche verschaffen, nicht wenn zwei
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