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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12
Autoren: Valentin Senger
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Alkoholzuteilung an die Besatzungstruppen war weitaus geringer als die an die Fronttruppen. Aber auch die kultivierte Atmosphäre der Jagdhausgesellschaft behagte den Amerikanern, und sie fühlten sich geschmeichelt, wenn die Generalsfrau oder Frau S. ihr Schulenglisch hervorkramten und sich mit ihnen ein wenig in ihrer Muttersprache unterhielten.
    Die Umstellung von Feind auf Freund machte den Frauen keine Mühe. Jetzt gab es für sie nur noch einen gemeinsamen Feind: die Russen. Und sie haßten - genau wie ihre neuen Freunde, die Amerikaner - nur noch die Kommunisten. Der Krieg mit den Amerikanern, Engländern und Franzosen schrumpfte zu einem tragischen Mißverständnis zusammen.
    In den umliegenden Dörfern hatte es sich bald herumgesprochen, daß die Amerikaner im Jagdhaus ein- und ausgingen, und wir hatten in der Tat vorerst keinen Ärger mehr mit Plünderern. Es kam so weit, daß Bauern aus der Umgebung in unser Haus kamen, um mit einem nahrhaften Geschenk die Frauen zu bitten, bei den Amerikanern ein gutes Wort einzulegen, damit eine Maßnahme der Besatzer rückgängig gemacht, ein beschlagnahmtes Fahrzeug zurückgegeben oder auch nur etwas bei den Soldaten eingetauscht würde.
     

Der amerikanische Kommandant
    Eines Morgens kam, wie schon so oft in den letzten Tagen, ein Jeep den Feldweg hoch. Aber diesmal wollten die Amerikaner weder nach dem Schnaps noch nach dem rechten sehen. Mich wollten sie.
    Ich erschrak nicht sonderlich, irgendwann mußte das Versteckspiel ja zu Ende sein. Ich fragte nur: »Wo geht's hin?« »Zum Kommandanten.«
    Die amerikanische Kommandantur war im Schloß Garvensburg einquartiert, zehn Autominuten vom Jagdhaus entfernt.
    Ich mußte in der Vorhalle warten, ein Soldat blieb bei mir. Die Besatzungstruppen waren sehr darum bemüht, die kommunale Administration in Gang zu halten, und so herrschte reger Publikumsverkehr. Der Kommandant ließ mich rufen. Er residierte in einem großen Bibliotheksraum mit lederbezogenen Sesseln und Stühlen und einem wahren Prunkstück von Schreibtisch, vor dem ich Platz zu nehmen hatte.
    Ich bemerkte, wie der Offizier hinter dem Schreibtisch mich auf eine peinliche, fast lauernde Weise fixierte. Er war noch jung, vielleicht fünfundzwanzig Jahre, im Rang eines Oberleutnants und etwas zu klein für den großen Schreibtisch. Seine schwarzen Haare und die dunklen Augen in einem schmalen Gesicht gaben ihm fast etwas Jüdisches. Aber dafür war er wieder zu militärischschneidig.
    An seiner Seite saßen noch zwei andere Soldaten, einer, der dolmetschte, und einer, der Protokoll führte.
    Ich war ruhig, hatte keine Angst mehr, wartete darauf, daß der Amerikaner mir endlich eröffnen werde, ich sei als ehemaliger Wehrmachtssoldat identifiziert und solle in Gefangenschaft abtransportiert werden.
    Doch wieder kam es anders. Ganz undiplomatisch eröffnete mir der Amerikaner, ich stehe im Verdacht, als Spion für den Osten gearbeitet zu haben. Wenn sich das bestätige, werde man mich umgehend abschieben. Für Ostspione sei in dem von Amerikanern besetzten Gebiet kein Platz.
    Ich brauchte eine Zeit, um zu begreifen, wessen man mich beschuldigte. Ich ein Ostspion! Wie kamen sie dazu? Mein Staatenlosenpaß! Das war es - der Paß! Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder hatten die Soldaten, die mich zuerst kontrollierten, Verdacht geschöpft und ihre Beobachtung weitergemeldet; oder eine der Frauen hatte mich wegen meines Fremdenpasses bei den Amerikanern denunziert.
    Beschwörend sagte ich, jedes Wort einzeln betonend: »Ich bin kein Spion, Lieutenant! Ich war es nie!«
    »Das müssen Sie erst beweisen! Jedenfalls stehen Sie im Verdacht, einer zu sein.« Der Dolmetscher übersetzte.
    »Da könnte man doch jeden verdächtigen!«
    »Wir verdächtigen nicht jeden, wir verdächtigen Sie.«
    »Haben Sie Gründe für Ihren Verdacht?« fragte ich.
    »Natürlich, sonst hätten wir Sie nicht geholt.«
    »Welche?«
    Der Kommandant wurde ärgerlich: »Ich stelle hier die Fragen. Also: Wo kommen Sie her? Und wie kommen Sie hierher?«
    Jetzt wäre die letzte, ja die beste Möglichkeit, endlich einmal die Wahrheit zu sagen; zu sagen, wer ich bin und über welche Stationen ich in das Jagdhaus gekommen war. Doch ich log weiter, von der fixen Idee besessen, der Kommandant dürfe nicht erfahren, daß ich die deutsche Wehrmachtsuniform getragen hatte. Ich erzählte ihm, daß ich bis vor wenigen Wochen in Frankfurt gewohnt habe, dann aber hierher geflüchtet sei, als sie mich zu den
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