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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12
Autoren: Valentin Senger
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Hose an, gab Gerdi, die ihren Kopf in die Kissen vergraben hatte, noch einen Kuß auf die nackte Schulter und schlich mich nach oben. In dieser Nacht schlief ich nicht gut.
    Gerdi ging mir aus dem Weg, und ich ihr auch. Wir sprachen kaum noch ein Wort miteinander. Dann kam der Sonntag. Nach dem Mittagessen waren Justus Mohl und seine Frau zu einem Besuch in die Nachbarschaft gegangen. Wir waren allein im Haus. Sie saß im Wohnzimmer und hatte eine Schallplatte aufgelegt. Als ich mich zu ihr setzte und zärtlich werden wollte, wehrte sie mich ab: »Gib dir keine Mühe, du bist doch ein Versager. Ich kenne andere, die's besser machen.«
    Das hätte sie nicht sagen dürfen. Wütend schlug ich ihr einen Bisquit, an dem sie herumknabberte, aus der Hand, drückte sie mit aller Kraft auf das Sofa nieder und warf mich über sie. Wir rutschten von dem schmalen Sofa ab und kamen auf den Holzdielen zu liegen.
    Ich war über meine Unbeherrschtheit sehr erschrocken, hatte mich aber bereits wieder in der Gewalt und wollte Gerdi loslassen. Doch sie war merkwürdig ruhig, lag da, wehrte sich nicht und machte keine Anstalten aufzustehen. Im Gegenteil, sie bemühte sich, auf der harten Unterlage die richtige Position unter mir zu finden. Ihre Beine spreizten sich von selbst. Wie in einem Glühofen verschmolzen wir ineinander, tief tauchte ich in sie ein. Wieder dieser betörende Geruch! Doch ich roch sie nicht nur, ich fühlte und schmeckte sie, sah und hörte sie. Mit einem tiefen Grunzlaut verbiß sie sich so fest in meine Schulter, daß ich noch Tage danach die blutunterlaufene Stelle im Spiegel betrachten konnte.
    Am gleichen Abend wurde Gerdi krank, bekam hohes Fieber und Schmerzen in der Nierengegend. Ich saß an ihrem Bett, legte ihr kalte Tücher auf die Stirn, hielt ihre Hand und spürte, wie froh sie war, daß jemand sich um sie sorgte. Anderntags kam der Arzt aus Züschen und stellte eine Nierenbeckenentzündung fest. Er kam fast zur gleichen Stunde, als ich erneut zur amerikanischen Kommandantur beordert wurde.
     

Am Fenster stand Papa
    Der Offizier empfing mich ungewöhnlich freundlich und gab mir sogar die Hand. »Ich habe gute Nachricht aus Frankfurt. Ihre Angaben wurden mir bestätigt.«
    Ich atmete erleichtert auf. »Es besteht also kein Verdacht mehr, daß ich Spion bin?«
    Er klopfte mir auf die Schulter: »Nein, kein Verdacht mehr.«
    Wir nahmen auf einem Sofa Platz, und der Offizier fuhr fort: »Sagen Sie mir eines noch: Warum sind Sie staatenlos?« »Das ist schwer zu erklären.« »Erklären Sie's mir.«
    Jetzt war ich an der Reihe. Tief atmete ich ein - es war, wie wenn man die Sehne eines Bogens mit aller Kraft zurückzieht und dann losläßt.
    »Ich bin Jude.«
    Der Amerikaner stand auf, ging einige Schritte zum Schreibtisch, kam wieder zurück, blieb vor mir stehen und starrte mich an, ohne etwas zu sagen.
    »Glauben Sie mir vielleicht nicht? Ich bin wirklich Jude.«
    »Ich glaube Ihnen.«
    »Wir lebten versteckt in Frankfurt, nein illegal, nein, auch das nicht. - Ach, das ist schwer zu erklären.«
    Der amerikanische Offizier faßte mich am Arm, drückte und schüttelte mich: »Was wollen Sie erklären? Mir erklären! Mann! Ist das zu fassen! Sie sind durchgekommen? Der Himmel hat Sie bewahrt.«
    »Ja, mich und meine Familie.«
    »Ich bin auch Jude.« Sein Englisch brach ab und er sprach in einem deutsch-jiddischen Kauderwelsch weiter: »Mein Vater und meine Mutter kommen aus der Gegend von Lodz. Sie sind 1921 in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Ich bin auf dem Schiff zur Welt gekommen. Wir leben in Boston.« Er setzte sich neben mich und faßte mich noch einmal am Arm: »Aber wie haben Sie es geschafft? Wie sind Sie durchgekommen?«
    »Wie? Das frage ich mich oft selbst.«
    »Das müssen Sie mir erzählen. - Sind Sie fromm?«
    »Nein.«
    »Dann ist's gut. Heute ist Schabbes.« Er hielt mir eine Zigarettenschachtel hin, gab mir Feuer und steckte sich selbst auch eine Zigarette an.
    »Trinken Sie?«
    »Ja, gern.«
    Er ging nach draußen und kam mit einer Flasche Whisky und zwei Gläsern zurück. Er schenkte ein und prostete mir zu. »Le Chajm (: (hebräisch) Auf das Leben! (Trinkspruch))!«
    Eine deutsche Bedienstete brachte etwas später Kaffee und Gebäck.
    Dann erzählte ich ihm die Geschichte der Familie Senger, unvollständig und stockend, und allmählich löste sich Schicht um Schicht.
    Als ich geendigt hatte, schwieg der Amerikaner. Nach einer Weile fragte er: »Kann ich irgend etwas für Sie
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