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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12
Autoren: Valentin Senger
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Alex und ich, bis wir vor Erschöpfung umfielen.
     
    Nun waren die Befreier da.
    Aber war das die Befreiung? Eine entsicherte Maschinenpistole auf meinen Bauch gerichtet? Der sie auf mich richtete, meinte es verflucht ernst. Was interessierte es ihn in diesem Augenblick, ob ich Jude oder Christ bin - er war als Sieger gekommen, wir waren die Besiegten, und ich gehörte dazu. Ja, ich fühlte mich auch so. Sollte das die Befreiung sein? Unsere Tagträume im Familienkreis waren umsonst geträumt. Keine Umarmungen, keine Küsse, keine Freudentränen, keine Rufe, keine Tänze. Ich mußte weiterlügen, weiterzittern.
     
    Wer mir einmal gesagt haben würde, so sähe die Befreiung aus, den hätte ich einen Lügner genannt oder ihn für verrückt erklärt. Und wenn ich zehntausend Möglichkeiten in Erwägung gezogen hätte, diese eine in der Jagdhausgesellschaft von Heimarshausen wäre mir bei aller Phantasie nicht eingefallen.
    Mit erhobenen Händen ging ich langsam auf die amerikanischen Soldaten zu. An einen von ihnen erinnere ich mich noch sehr genau: Er war einen Kopf kleiner als die andern und hatte eine Hasenscharte. Er fuchtelte besonders gefährlich mit seiner Maschinenpistole vor mir herum. Ich zitterte vor Angst, er könne aus Versehen abdrücken.
    »Bist du deutscher Soldat?« fragte der erste Amerikaner.
    »Nein.« Ich zog meinen Paß aus dem Jackett.
    »Was ist das?«
    »Ein Fremdenpaß«, sagte ich auf englisch. »Ich bin kein Deutscher.« Dabei zeigte ich auf die in französischer Sprache eingedruckte Zeile »Passeport pour etrangers«.
    Ein Glück für mich, daß der Amerikaner offenbar das Französisch-Gedruckte verstand. Nur mit dem »Staatenlos« wußte er nichts anzufangen, fragte aber nicht weiter, als ich ihm erklärte, meine Eltern seien aus Rußland gekommen.
    Dann fragte er nach dem anderen Soldaten und gab sich glücklicherweise damit zufrieden, als ich ihm versicherte, der andere sei Zivilist, herzkrank und habe ein Attest, daß er zu krank für die Soldaten sei.
    »Niemand mehr im Haus?« wollte er wissen.
    »Niemand.«
    Ein Amerikaner tastete mich und den anderen nach Waffen ab. Danach gab der Anführer der Truppe Anweisung, daß ein Soldat bei den Zivilisten draußen bleiben solle, während ich mit den übrigen fünf ins Haus gehen mußte. Sie durchsuchten ein Zimmer nach dem andern, ich immer voraus, öffneten jede Kammer und jeden Schrank. Der mit der Hasenscharte war dabei der eifrigste.
    »Keine Waffen im Haus?« fragte einer.
    »Nein«, gab ich zur Antwort.
    Wir kamen in die Küche.
    »Kein Schnaps?«
    Ich ging in das danebenliegende Wohnzimmer, nahm aus dem Buffett eine angebrochene Cognacflasche und eine Flasche Wein heraus und reichte sie dem Soldaten.
    »Das ist alles?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, das ist alles.«
    »Nach unten!« befahl der Truppführer.
    Auf ebener Erde neben der Garage waren noch andere Räume, zu denen ich bisher keinen Zutritt gehabt hatte. Ich mußte sie öffnen und draußen stehen bleiben. Die Soldaten durchsuchten sie. Mir war nicht ganz wohl dabei. Denn nach acht Tagen Zusammenleben mit den Frauen traute ich ihnen alles zu. Doch in dem Raum befand sich nichts als Gerumpel. Ich konnte aufatmen. Wir gingen nach draußen, nur ein Soldat blieb etwas zurück und schnüffelte noch ein bißchen in den Ecken herum.
    Plötzlich stieß er einen Pfiff aus. Erschrocken drehte ich mich um. Irgendwo im Hintergrund hatte er eine Tür entdeckt, die zu einem winzigen Raum führte. Im Schein einer Taschenlampe erkannte ich, daß der Raum wie ein Luftschacht aussah und leer war. Der Soldat gab sich jedoch nicht zufrieden. Er hatte Erfahrung mit solchen scheinbar leeren Räumen, klopfte mit seiner Waffe gegen die Wände und stieß mit dem Fuß gegen den Boden. Und da klang es hohl. Jetzt konnte man auch sehen, daß der Boden nur mit einer hölzernen Abdeckplatte belegt war. Der Amerikaner hob sie auf, sie war nur leicht aufgelegt. Was ich im Lichtkegel einer Taschenlampe erkennen konnte, lähmte mich vor Schreck: Ein ganzes Lager mit Lebensmitteln in Kisten, Büchsen und Gläsern war dort gestapelt, unter anderem auch eine Kiste mit Wein und Cognac. Der Soldat sprang hinunter und reichte einen Teil der Lebensmittel und alle Spirituosen heraus. Derweil faßte mich ein anderer vorn am Jackett, schlug mich mehrere Male mit Wucht gegen den eisernen Türrahmen und schrie:
    »Kein Schnaps im Haus? Was? Kein Schnaps?«
    Er war wütend, weil er glaubte, ich habe ihnen
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