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Kain

Kain

Titel: Kain
Autoren: José Saramago
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ich mich nicht ein, aber sie werden garantiert wissen wollen, wo Abel ist, und ich nehme an, du wirst ihnen nicht sagen, dass du ihn getötet hast, Nein, Nein was, Ich werde mich nicht von meinen Eltern verabschieden, Dann mach dich auf den Weg. Mehr gab es nicht zu sagen. Der Herr verschwand, noch ehe Kain den ersten Schritt getan hatte. Abels Gesicht war mit Fliegen übersät, Fliegen auf den geöffneten Augen, Fliegen auf den Mundwinkeln, Fliegen auf den Wunden, die er an den Händen erlitten hatte, als er diese erhob, um sich vor den Schlägen zu schützen. Armer Abel, den Gott getäuscht hatte. Der Herr hatte zur Einweihung des Gartens Eden eine miserable Wahl getroffen, bei dem so in Gang gesetzten Roulette hatten alle verloren, bei dem blinden Scheibenschießen hatte keiner ins Schwarze getroffen. Eva und Adam blieb zwar die Möglichkeit, als Ersatz für den ermordeten Sohn ein Kind zu zeugen, doch muss es ziemlich traurig sein, keinen anderen Lebenszweck zu kennen, als Kinder zu machen, ohne zu wissen, warum oder wofür. Damit die Spezies fortbesteht, sagen jene, die an ein ultimatives Ziel, einen letzten Grund glauben, auch wenn sie keinerlei Vorstellung davon haben, was diese beinhalten könnten, und sich auch nie gefragt haben, weshalb die Spezies fortbestehen müsse, als wäre sie die einzige und allerletzte Hoffnung des Universums. Indem er Abel tötete, weil er den Herrn nicht töten konnte, hatte Kain seine Antwort gegeben. Das lässt nichts Gutes vom künftigen Leben dieses Mannes erwarten.

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    D abei hatte es mit diesem Gehetzten, der sich da aufmacht, verfolgt von den eigenen Schritten, diesem Verfemten, diesem Brudermörder so gut angefangen wie nur mit wenigen. Bezeugen kann das seine Mutter, die oft dazukam, wenn er im Garten auf der feuchten Erde saß, einen kleinen, frischgepflanzten Baum betrachtete und darauf wartete, ihn wachsen zu sehen. Er war vier oder fünf Jahre alt und wollte sehen, wie die Bäume wachsen. Sie, offenbar noch phantasiebegabter als ihr Sohn, erklärte ihm daraufhin, dass Bäume sehr schüchtern seien und nur dann wüchsen, wenn man sie nicht beobachtete, Denn sie genieren sich, sagte sie eines Tages. Sekundenlang schwieg Kain und dachte nach, schließlich antwortete er, Dann sieh nicht hin, Mutter, vor mir genieren sie sich nicht, sie sind es gewohnt. Schon ahnend, was nun kommen würde, wandte die Mutter den Blick ab, und sogleich erklang triumphierend die Stimme des Sohnes, Eben gerade ist er gewachsen, gerade eben, ich hatte dir ja gesagt, du sollst nicht hinsehen. Als Adam an diesem Abend von der Arbeit nach Hause kam, erzählte Eva ihm lachend, was passiert war, und ihr Mann antwortete, Der Junge wird es weit bringen. Das wäre vielleicht der Fall gewesen, wäre ihm nicht der Herr in die Quere gekommen. Dennoch war er schon ziemlich weit gekommen, wenn auch nicht in dem Sinne, wie der Vater es prophezeit hatte. Erschöpft schleppte er sich über ein Ödland, weit und breit nicht einmal eine verfallene Hütte zu sehen, geschweige denn ein anderes Anzeichen von Leben, eine trostlose Einsamkeit, noch verstärkt durch den tiefhängenden Himmel, der mit einem Regenguss drohte. Er würde sich nirgends unterstellen können, höchstens unter einem der wenigen Bäume, deren Kronen sich langsam über den nahen Horizont schoben, während er weiterging. Ihre alles in allem dürftig belaubten Zweige versprachen keinerlei dieser Bezeichnung würdigen Schutz. Dann, als die ersten Tropfen fielen, wurde Kain bewusst, dass seine Tunika blutverschmiert war. Er dachte, die Flecken würden vielleicht vom Regen weggewaschen, doch schon bald merkte er, dass dies nicht der Fall war, besser wäre es, sie mit Erde zu kaschieren, niemand würde ahnen, was sich darunter verbarg, zumal es in dieser Gegend an Leuten mit schmutzigen, von Flecken übersäten Tuniken nicht gerade mangelte. Nun setzte starker Regen ein, binnen kurzer Zeit war die Tunika durchweicht, von dem Blutfleck war nichts mehr zu sehen, außerdem konnte er, falls er gefragt wurde, immer sagen, es handele sich um das Blut eines Lammes. Ja, sagte Kain laut, aber Abel war kein Lamm, er war mein Bruder, und ich habe ihn getötet. In diesem Augenblick dachte er nicht daran, dass er zum Herrn gesagt hatte, sie trügen beide Schuld an der Tat, doch dauerte es nicht lange, da kam ihm seine Erinnerung zu Hilfe, deshalb fügte er hinzu, Wenn der Herr, der, wie es heißt, alles weiß und alles kann, den Eselskiefer hätte
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