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Beruehrt

Beruehrt

Titel: Beruehrt
Autoren: Robin Lyall
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    E s roch nach Erde, Moos und feuchten, alten Steinen. Das graue Gemäuer verströmte einen Duft, der auf Rachels Nase nur bedingt ansprechend wirkte. Einen ihrer vielen Umzugkartons im Arm, stand sie vor über Jahrhunderte ausgetretenen Steinstufen, die steil und schier endlos vor ihr aufragten. Als ob sie jeden auf die Probe stellen wollten, der die breite Treppe betrat.
    Die Frühjahrsstürme hatten altes Eichen- und Buchenlaub aus dem Park in die Ecken gewirbelt. Im Windschatten der Schlossmauer war es liegen geblieben und hatte wochenlang teilnahmslos vor sich hin gemodert. Inzwischen bot es ein paar verspäteten Veilchen und Insekten ein neues Zuhause.
    Rachel beugte sich vorsichtig über die hüfthoch gemauerte Brüstung. Sie befand sich auf Augenhöhe mit den grünen Baumkronen. Durch den nebelverhangenen Blätterwald der uralten Riesen konnte sie den tiefer gelegenen Parkplatz nur noch erahnen, aber der Motorenlärm, eine Wolke aus Dieselgestank und zwei aufgescheuchte schimpfende Krähen waren eindeutige Hinweise darauf, dass sich der Möbelwagen wieder in Bewegung gesetzt hatte. Langsam tuckerte er die gepflasterte Schlossallee hinauf.
    Es war viel zu kalt für die Jahreszeit. Der Nebel hing schwer und nass in Rachels Haaren und Nieselregen tropfte von ihren kastanienbraunen Strähnen auf Gesicht und Hals. Das sollte nun also die viel gerühmte englische Riviera sein. Ein kühles Rinnsal glitt ihren Ausschnitt hinab, doch sie riskierte es lieber nicht, den bereits durchfeuchteten Karton abzusetzen, um ihre Regenjacke zurechtzurücken. Geschätzte zwanzig Höhenmeter über schlüpfriges Moos und glatte Steine lagen noch vor ihr. Hätte sie doch bloß die rutschfesten Gummistiefel angezogen und nicht ihre neuen Stiefel mit dem Absatz. Seufzend packte Rachel den Karton fester und nahm den Aufstieg in Angriff.
    Der Schlossplatz war atemberaubend. Hätten der Lkw und die Männer in ihren blauen Monturen die Illusion nicht so brutal gebrochen, Rachel hätte sich kaum gewundert, wenn ihr ein Ritter oder doch zumindest ein Page in rüschenbesetzter Livree den Karton abgenommen hätte.
    Stattdessen war es ihr Vater, der unvermittelt an der Umzugskiste riss. »Rachel, träumst du etwa? Lass los, ich nehm dir das ab.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall, Dad. Ich trag meine Sachen selbst über die Schwelle. Wo geht’s rein?«
    Paul McIntyre wies mit dem Kopf auf eine Freitreppe, an deren handgeschmiedetem Geländer üppige Blumenampeln befestigt waren. »Links das Treppenhaus hoch, zweiter Stock am Ende des Ganges. Bist du wirklich sicher, dass du nicht auf den Campus ziehen willst, wie alle anderen auch?«
    »Definitiv.« Der Tremough Campus mit dem Studentenwohnheim war immerhin fünf Kilometer vom Woodlane Campus direkt in Falmouth entfernt und da würde sie die meisten Kurse haben. Es gab 1000 Gründe, die aus Sicht ihrer Eltern dafürsprachen, dass man als Erstsemester trotzdem auf dem Universitätsgelände oberhalb des niedlichen Dörfchens Penryn wohnte, »so wie alle anderen auch«. Und es gab mindestens eine Handvoll weit besserer Gründe, die aus Rachels Sicht dagegensprachen, mit einem schnatternden Haufen Gleichaltriger, weitab vom Schuss, von Cafés, Geschäften, Strand und Meer kaserniert zu sein – aber sie hatte einfach keinen Bock mehr auf die zigste Diskussion zu diesem Thema.
    Rachel beeilte sich, das Schloss vor den Möbelpackern zu betreten, die bereits zu dritt die große nagelneue Ledercouch von der Ladefläche hievten.
    Sie hielt kurz inne, um sich zu orientieren und ein wenig Luft zu holen. Obwohl sie regelmäßig Sport trieb, war sie ziemlich außer Puste. »Treppenhaus« war eine gelinde Untertreibung für die in mediterraner Terrakotta geflieste Halle und die weitläufigen, offenen Flure, die von hier aus zu den einzelnen Wohnparteien des Schlosses führten. Zimmerpalmen und ein blühender Oleander umrahmten stylish eine clubartige Sitzgruppe mit schweren Ledersesseln. Auf dem Weg nach oben hingen alte Ölbilder gleichberechtigt neben studentischen Werken und moderne Skulpturen schmückten die Treppenabsätze. Noch bevor sie die Wohnung betreten hatte, verstand Rachel, warum ihr Dad nicht weitergesucht hatte. In natura sah alles noch viel umwerfender aus als auf den Handyfotos, die ihr Vater ihr von seiner Geschäftsreise geschickt hatte. Er war mit einem japanischen Kunden unterwegs gewesen und hatte in die Tour zu den mittelalterlichen Sehenswürdigkeiten geschickt
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