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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand
Autoren: Haruki Murakami
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auf die Nerven?«
    Wieder schüttele ich den Kopf.
    Sie packt das zweite Sandwich aus. Es ist mit Erdbeermarmelade bestrichen. Sie macht ein fassungsloses Gesicht und zieht die Brauen zusammen.
    »Kannst du das für mich essen? Erdbeermarmelade hasse ich wie nichts auf der Welt. Schon als Kind.«
    Ich nehme es an, obwohl ich Erdbeermarmelade selber nicht mag. Wortlos esse ich. Sie behält mich über den Tisch hinweg bis zum Schluss im Auge, wie um sicherzugehen, dass ich es auch ordentlich aufesse.
    »Ich habe eine Bitte«, sagt sie.
    »Was denn?«
    »Darf ich bis Takamatsu neben dir sitzen? Wenn ich allein sitze, kann ich mich nicht entspannen. Die ganze Zeit habe ich Angst, irgendein komischer Typ setzt sich neben mich. Deshalb konnte ich nicht richtig schlafen. Als ich die Fahrkarte gekauft habe, habe ich um einen Einzelsitz gebeten, aber als ich dann eingestiegen bin, war es doch ein Doppelsitz. Ich würde gern noch ein bisschen schlafen, bevor wir in Takamatsu sind, und du siehst wirklich nicht wie ein komischer Typ aus. Macht’s dir was aus?«
    »Nein«, sage ich.
    »Danke«, sagt sie. »›Auf Reisen ein Gefährte …‹, so heißt es doch, oder?«
    Ich nicke. Es war mir peinlich, wieder nur zu nicken, aber was hätte ich schon sagen sollen?
    »Was kommt noch mal danach?«
    »Danach?«
    »Nach ›auf Reisen ein Gefährte‹. Da kommt doch noch was, oder? Ich weiß aber nicht mehr was. Ich war schon immer schwach in Japanisch.«
    »Im Leben Mitgefühl«, sage ich.
    »Auf Reisen ein Gefährte, im Leben Mitgefühl«, wiederholt sie, wie um sicherzugehen. Als hätte sie es sich am liebsten aufgeschrieben, wenn sie nur Papier und Bleistift gehabt hätte. »Was heißt das eigentlich? Mit schlichten Worten gesagt.«
    Ich überlege. Es dauert eine ganze Weile. Doch sie wartet geduldig ab.
    »Ich glaube, es heißt, dass auch zufällige Begegnungen wichtig für die Gefühle eines Menschen sind. Mit schlichten Worten gesagt«, sage ich.
    Sie denkt einen Moment nach. Kurz darauf legt sie beide Hände langsam und sacht über dem Tisch aneinander. »Das stimmt auf jeden Fall. Zufällige Begegnungen sind wichtig für die Gefühle der Menschen. Finde ich auch.«
    Ich sehe auf meine Uhr. Es ist schon halb sechs. »Sollten wir nicht lieber allmählich zurückgehen?«
    »Ja, stimmt. Gehen wir«, sagt sie, macht aber keine Anstalten aufzustehen.
    »Wo sind wir hier überhaupt?«, frage ich.
    »Ja, wo eigentlich?«, sagt sie. Sie reckt den Hals und sieht sich um. Ihre Ohrringe schaukeln wie reife Früchte.
    »Ich weiß auch nicht. Von der Zeit her könnten wir in der Gegend von Kurashiki sein, aber eigentlich ist es doch egal, wo wir sind. An irgendeiner Autobahnraststätte eben, schließlich sind wir nur auf der Durchreise. Von hier nach da.« Sie hält ihre beiden Zeigefinger in die Luft. Der Abstand dazwischen beträgt etwa dreißig Zentimeter.
    »Was bedeutet schon ein Ortsname? Toiletten und Essen. Neonlicht und Plastikstühle. Schlechter Kaffee. Sandwichs mit Erdbeermarmelade. Mehr nicht. Was zählt, ist doch, woher wir kommen und wohin wir gehen. Stimmt’s nicht?«
    Ich nicke. Ich nicke. ICH nicke.
     
    Als wir zum Bus kommen, sitzen alle schon auf ihren Plätzen, und der Bus wartet abfahrbereit. Der Fahrer ist ein junger Mann mit einem strengen Gesicht. Statt wie ein Busfahrer sieht er eher aus wie ein Schleusenwärter. Er wirft uns einen missbilligenden Blick zu, weil wir uns verspätet haben, sagt aber nichts. »Tschuldigung«, sagt sie und lächelt ihm unschuldig zu. Der Fahrer streckt die Hände aus, greift ans Lenkrad und schließt mit erneutem Pressluftzischen die Tür. Das Mädchen holt einen kleinen Koffer und zieht auf den Sitz neben mir um. Es ist ein billiger Koffer aus einem Discountladen, ziemlich schwer für seine Größe. Ich nehme ihn ihr ab und verstaue ihn im Gepäcknetz über uns. Sie bedankt sich, lässt sich auf den Sitz fallen und schläft auf der Stelle ein. Der Bus fährt ab. Ich nehme mein Buch aus der Tasche und fange an zu lesen.
    Sie schläft ganz fest, und gleich nach einer Kurve landet ihr Kopf auf meiner Schulter. Und bleibt dort. Er ist nicht besonders schwer. Sie atmet bei geschlossenem Mund ruhig durch die Nase. Ihr Atem trifft direkt auf meinen Schulterknochen. Wenn ich nach unten schaue, kann ich am Rand ihres Bootsausschnitts den Träger ihres BHs sehen. Ein schmaler cremefarbener Träger. Ich stelle mir die daran anschließende Unterwäsche aus zartem Stoff und die weiche Brust
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