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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand
Autoren: Haruki Murakami
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darunter vor. Ich stelle mir eine harte rosa Brustwarze zwischen meinen Fingern vor. Nicht, dass ich mir das vorstellen will. Aber ich kann nicht anders. Und natürlich bekomme ich eine Erektion. Wie nur ein Teil meines Körpers so hart werden kann?
    Gleichzeitig keimen Zweifel in mir auf, ob sie nicht zufällig meine ältere Schwester sein könnte. Sie muss ungefähr im gleichen Alter sein. Ihre eigentümlichen Gesichtszüge sind allerdings ganz anders als die meiner Schwester auf dem Foto. Doch ein Foto kann auch täuschen. Je nachdem kann ein Gesicht völlig anders aussehen als in Wirklichkeit. Immerhin besitzt sie einen Bruder in meinem Alter, den sie lange nicht gesehen hat. Es wäre gar nicht so seltsam, wenn ich dieser Bruder wäre.
    Ich schaue auf ihre Brust. Langsam heben und senken sich die runden Hügel beim Atmen wie wogende Wellen und erwecken in mir das Bild eines weiten Ozeans, auf den gleichmäßig sanfter Regen fällt. Ich bin ein einsamer Seemann auf Deck, und sie sind das Meer. Der Himmel ist einheitlich grau und verschmilzt in der Ferne vor mir mit dem Meer, das ebenfalls grau ist. Es ist schwer, Meer und Himmel zu unterscheiden. Auch der Seemann ist schwer vom Meer zu unterscheiden. Und schwer ist es auch, die äußere Wirklichkeit von den Regungen des Herzens zu unterscheiden.
    Sie trägt zwei Ringe an den Fingern. Keinen Ehe- oder Verlobungsring, billigen Schmuck, wie er in Geschäften für junge Leute verkauft wird. Ihre Finger sind schmal, aber gerade und lang, sie wirken stark. Die kurzen Nägel sind gepflegt und hellrosa lackiert. Ihre Hände ruhen leicht auf den Knien, die unter ihrem Minirock hervorsehen. Gern würde ich ihre Finger berühren. Natürlich tue ich es nicht. Im Schlaf sieht sie aus wie ein kleines Mädchen. Wie Pilze schauen ihre spitzen Ohren zwischen den Haaren hervor. Sie wirken seltsam verletzlich.
    Ich klappe mein Buch zu und betrachte eine Weile die Landschaft vor dem Fenster. Unversehens schlafe ich wieder ein.

4
    Bericht des amerikanischen Informationsministeriums (MIS) Datum: 12. Mai 1946
    Titel: RICE BOWL INCIDENT, 1944: Report Archivnummer: PTYX-722-8936745-422-16-WWN
     
    Befragung des zur Zeit des Vorfalls in ** praktizierenden Arztes Shigekazu Nakazawa (51). Tonbandaufnahme. Das dieses Protokoll betreffende Zusatzmaterial hat die Nummern PTYX-722-SQ-162 bis 183.
     
    Bemerkungen von Leutnant Robert O’Connell:
     
    »Mit seiner kräftigen Statur und seinem gebräunten Gesicht wirkt Dr. Nakazawa eher wie ein Gutsverwalter als wie ein Arzt. Seine Haltung ist gelassen, aber er spricht energisch und knapp. Offenbar ein Mann, der sagt, was er denkt. Hinter seiner Brille blitzen scharfe Augen. Sein Erinnerungsvermögen scheint präzise.«
     
    Ja, am 7. November 1944 gegen u Uhr vormittags rief mich der Rektor der hiesigen Volksschule an und bat mich zu kommen. Da ich schon sehr lange als Schularzt fungierte, setzte er sich mit mir als erstem in Verbindung. Er wirkte schrecklich aufgeregt.
    Eine ganze Schulklasse sei beim Pilzesammeln ohnmächtig geworden, berichtete er mir. Anscheinend richtiggehend bewusstlos. Nur die begleitende Lehrerin sei noch bei Bewusstsein, sie sei, um Hilfe zu holen, allein den Hügel hinuntergerannt und eben erst in der Schule angekommen. Da sie aber völlig außer sich sei, werde er aus ihren Erklärungen nicht ganz klug. Eins stehe jedoch anscheinend fest: Auf dem Berg lägen sechzehn Kinder.
    Zuerst vermutete ich, dass die Kinder giftige Pilze gegessen hatten und unter einer Nervenlähmung litten. Das wäre sehr schlimm gewesen. Pilzgift kann je nach Spezies eine sehr unterschiedliche Wirkung hervorrufen, und dementsprechend sind auch die Gegenmittel verschieden. Mehr als den Kindern den Magen auszupumpen und zu spülen, hätten wir zu dem Zeitpunkt nicht tun können. Doch bei einem starken Gift und einem fortgeschrittenen Verdauungsprozess wäre nichts mehr zu machen gewesen. In dieser Gegend kommen jedes Jahr mehrere Menschen durch Pilzvergiftungen ums Leben.
    Also packte ich erst einmal Medikamente für den Notfall in meine Tasche, stieg sofort auf mein Rad und raste zur Schule. Zwei Polizeibeamte, die von der Schule verständigt worden waren, trafen ebenfalls ein. Falls die Kinder nicht wieder zu sich kämen, müssten wir sie in den Ort transportieren, und dazu würden wir Hilfe brauchen. Da jedoch die meisten jungen Männer eingezogen waren, fuhren die beiden Polizisten, ein älterer Lehrer, der Konrektor, der Rektor, der
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