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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand
Autoren: Haruki Murakami
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Nur nicht so lange. Ich würde es kurz machen, sage ich.
    »Ich habe beschlossen, jetzt sofort nach Tokyo zurückzufahren«, sage ich. »Ich bin schon am Bahnhof in Takamatsu und wollte dir nur Bescheid sagen.«
    »Also bist du jetzt kein Ausreißer mehr?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Mit fünfzehn von zu Hause wegzugehen ist ja auch ein bisschen zu früh, oder?«, sagt sie. »Was hast du in Tokyo vor?«
    »Vielleicht gehe ich wieder zur Schule.«
    »Langfristig gesehen ist das sicher nicht schlecht«, sagt sie.
    »Kommst du auch wieder nach Tokyo zurück, Sakura?«
    »Hm. Vielleicht erst im September. Im Sommer möchte ich irgendwohin verreisen.«
    »Können wir uns in Tokyo mal treffen?«
    »Na klar«, sagt sie. »Sagst du mir deine Nummer?«
    Ich gebe ihr die Nummer, und sie notiert sie sich.
    »Übrigens hab ich vor kurzem von dir geträumt«, sagt sie.
    »Ich hab auch von dir geträumt.«
    »War deiner vielleicht ein erotischer Traum?«
    »So was Ähnliches«, gebe ich zu. »Aber letzten Endes war es doch nur ein Traum. Wie war denn dein Traum?«
    »Überhaupt nicht erotisch. Du bist allein durch ein großes Haus wie durch ein Labyrinth geirrt. Aber in dem Haus war jemand, der dich gesucht hat. Ich hab gerufen, um dich zu warnen, aber meine Stimme war zu leise. Ein total beängstigender Traum. Weil ich im Traum die ganze Zeit so geschrieen habe, war ich total fertig, als ich aufgewacht bin. Und hab mir ziemlich große Sorgen um dich gemacht.«
    »Danke«, sage ich. »Aber auch das war nur ein Traum.«
    »Es ist nichts Schlimmes passiert, oder?«
    Nein, es ist nichts Schlimmes passiert, höre ich mich sagen.
    »Wiedersehen, Kafka«, sagt sie. »Ich muss allmählich weitermachen, aber wenn du mal mit mir reden möchtest, kannst du mich jederzeit unter dieser Nummer anrufen.«
    »Auf Wiedersehen«, sage ich. »Große Schwester«, füge ich hinzu.
     
    Nach der Brücke über das Meer steige ich in Okayama in einen Superexpress um. Auf meinem Sitz schließe ich die Augen und überlasse mich dem leichten Schaukeln des Zuges. Zu meinen Füßen steht sicher verpackt das Bild »Kafka am Strand«. Ich spüre es die ganze Zeit.
     
    »Ich möchte, dass du dich an mich erinnerst«, hat Saeki-san gesagt und mir in die Augen gesehen. »Solange du mich im Gedächtnis behältst, können mich alle anderen ruhig vergessen.«
     
    DAS spezifische gewicht der zeit lastet auf dir wie ein alter, AMBIVALENTER TRAUM. UNABLÄSSIG BIST DU IN BEWEGUNG, UM der zeit zu entrinnen. doch auch wenn du bis an den rand der welt läufst, wirst du ihr nicht entkommen. und dennoch kannst du nicht anders, als bis an den rand der welt zu GEHEN.
     
    Irgendwann hinter Nagoya beginnt es zu regnen. Ich beobachte, wie die Regentropfen Linien auf die dunklen Scheiben zeichnen. Als ich Tokyo verließ, hat es auch geregnet. Ich stelle mir den Regen an den verschiedensten Orten vor. Regen im Wald, Regen über dem Meer, Regen auf der Autobahn, Regen über der Bibliothek, Regen am Rand der Welt.
    Ich schließe die Augen und entspanne meine verkrampften Muskeln. Ich lausche dem monotonen Geräusch des Zuges. Unversehens läuft mir eine Träne übers Gesicht. Ich fühle ihre Wärme auf meiner Wange. Sie fließt aus meinem Auge, über die Wange in meinen Mundwinkel, wo sie nach einer Weile trocknet. Macht nichts, sage ich zu mir. Es war nur eine. Meist weine ich überhaupt nicht. Sie kommt mir vor wie ein Teil des Regens, der gegen das Fenster schlägt. Habe ich das Richtige getan?
    »Du hast das Richtige getan«, sagt der Junge namens Krähe. »Du hast das Richtigste getan. Niemand anders hätte das so hingekriegt wie du. Weil du wirklich der stärkste Fünfzehnjährige der Welt bist.«
    »Aber den Sinn des Lebens verstehe ich immer noch nicht«, sage ich.
    »Schau das Bild an«, sagt er. »Und lausche dem Wind.«
    Ich nicke.
    »Du kannst es.«
    Ich nicke.
    »Du solltest schlafen«, sagt Krähe. »Wenn du aufwachst, wirst du Teil einer neuen Welt sein.«
    Bald schläfst du ein. Und wenn du aufwachst, wirst du Teil einer neuen Welt sein.
     
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