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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand
Autoren: Haruki Murakami
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unablässig die Richtung wechselt, erklärt mir Krähe.
     
    HIN und wieder hat das schicksal Ähnlichkeit mit einem örtlichen sandsturm, der unablässig die richtung wechselt. sobald du deine laufrichtung änderst, um ihm auszuweichen, ÄNDERT AUCH DER STURM SEINE RICHTUNG, UM DIR ZU FOLGEN. wieder änderst du die richtung. und wieder schlägt der sturm den gleichen weg ein. dies wiederholt sich mal für mal, und es ist, als tanztest du in der dämmerung EINEN WILDEN TANZ MIT DEM TOTENGOTT. DIESER STURM ist jedoch kein beziehungsloses etwas, das irgendwoher aus der ferne heraufzieht. eigentlich bist der sandsturm du selbst. etwas in dir. also bleibt dir nichts anderes übrig, als dich damit abzufinden und, so gut es geht, einen fuss vor den anderen zu setzen, augen und ohren fest zu VERSCHLIESSEN, damit kein sand eindringt, und dich schritt für schritt herauszuarbeiten. vielleicht SCHEINT DIR AUF DIESEM WEG WEDER SONNE NOCH MOND, VIELLEICHT EXISTIERT KEINE RICHTUNG UND NICHT EINMAL DIE zeit. nur winzige, weisse sandkörner, wie knochenmehl, WIRBELN BIS HOCH HINAUF IN DEN HIMMEL. So SIEHT der sandsturm aus, den ich mir vorstelle.
     
    Ich stelle mir diesen Sandsturm vor. Eine bleiche Windhose steigt in den Himmel wie ein dickes gerades Seil. Mit beiden Händen halte ich mir Augen und Ohren zu, damit die winzigen Sandkörner nicht in meinen Körper eindringen. Der Sandsturm rast auf mich zu, sodass ich den Luftdruck schon von weitem auf meiner Haut spüren kann. Schon droht er, mich zu verschlingen.
    Nach einer Weile legt Krähe sacht seine Hand auf meine Schulter. Der Sandsturm verebbt, doch ich halte die Augen weiter geschlossen.
    »Von nun an musst du der stärkste fünfzehnjährige Junge auf der Welt werden. Komme, was wolle. Eine andere Überlebenschance hast du nicht. Du musst begreifen, was Stärke wirklich bedeutet. Verstehst du?«
    Ich antworte nicht. Am liebsten würde ich, seine Hand auf meiner Schulter, behaglich einschlafen. Ich spüre einen sanften Flügelschlag an meinem Ohr.
    »Von nun an wirst du zum stärksten Fünfzehnjährigen der Welt«, sagt Krähe mir noch einmal leise ins Ohr, während ich schon in den Schlaf hinübergleite. Doch seine Worte sind mir wie mit dunkelblauen Zeichen ins Herz tätowiert.
     
    NATÜRLICH kommst du durch. durch diesen tobenden sandsturm. diesen metaphysischen, symbolischen sandsturm. doch auch wenn er metaphysisch und symbolisch ist, wird er dir wie mit tausend rasierklingen das fleisch aufschlitzen. das blut vieler menschen wird fliessen, auch dein eigenes. warmes, rotes blut. du wirst dieses blut mit beiden händen auffangen. es ist dein blut und das der vielen.
    UND wenn der sandsturm vorüber ist, wirst du kaum begreifen KÖNNEN, WIE DU IHN DURCHQUERT UND ÜBERLEBT HAST. Du WIRST AUCH NICHT SICHER SEIN, OB ER WIRKLICH VORÜBER IST. NUR EINS IST SICHER. DERJENIGE, DER AUS DEM SANDSTURM KOMMT, IST NICHT MEHR DERJENIGE, DER DURCH IHN HINDURCHGEGANGEN IST. darin liegt der sinn eines sandsturms.
    Als mein fünfzehnter Geburtstag gekommen war, ging ich von zu Hause fort, um in einer fernen, fremden Stadt in einem Winkel einer kleinen Bibliothek zu leben.
    Um alles der Reihe nach zu erzählen, brauche ich wahrscheinlich eine Woche. Auch nur die wichtigsten Punkte aufzuführen, würde ungefähr genauso lange dauern.
    ALS mein fünfzehnter geburtstag GEKOMMEN WAR, GING ICH VON ZU HAUSE FORT, UM IN EINER FERNEN, FREMDEN STADT IN EINEM WINKEL EINER KLEINEN BIBLIOTHEK zu LEBEN.
    Das klingt vielleicht wie der Beginn eines Märchens. Aber es ist kein Märchen. In keinem Sinne.

1
    Als ich fortgehe, nehme ich nicht nur ohne zu fragen Geld aus dem Arbeitszimmer meines Vaters, sondern auch ein kleines goldenes Feuerzeug (dessen Design und Gewicht mir gefallen) und ein Klappmesser mit einer scharfen Schneide. Es dient zum Häuten von Wild und liegt gut und schwer in der Hand. Die Klinge ist zwölf Zentimeter lang. Vielleicht ein Souvenir von einer Auslandsreise. Außerdem nehme ich noch eine starke Taschenlampe aus der Schreibtischschublade. Und seine Sonnenbrille brauche ich, um mein Alter zu kaschieren. Eine dunkelblaue Rebo-Sonnenbrille.
    Ich überlege, ob ich auch die geliebte Sea-Oyster-Rolex meines Vaters mitnehmen soll, entscheide mich aber am Ende dagegen. Die Schönheit der Uhr als Maschine verlockt mich, aber ein so kostspieliges Ding kann unnötige Aufmerksamkeit erregen. Vom praktischen Standpunkt genügt die Plastik-Casio mit Stoppuhr und Wecker, die ich ständig am
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