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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand
Autoren: Haruki Murakami
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durchdringen, und du wirst in dem gefühl, gleich in dieser GRAUSAMEN FLUT ZU ERTRINKEN, NACH LUFT RINGEN. AN EINEM LUFTSCHACHT an der decke wirst du kleben und in panik nach der frischen luft im freien schnappen. aber die luft, die du einsaugst, ist heiss und trocken und verBRENNT DIR die kehle mit ihrer hitze. mit vereinten kräften FALLEN DIE EXTREME WASSER UND TROCKENHEIT, KÄLTE UND hitze gleichzeitig über dich her.
    AUF der ganzen weiten welt findet sich nirgends ein ort, der dir zuflucht bieten kann – obwohl schon das kleinste eckchen genügen würde. suchst du die stimme der prophezeiung, herrscht nur tiefes schweigen. doch kaum suchst du das schweigen, dröhnt sie unablässig. als hätte jemand auf einen geheimen, in deinem kopf verSTECKTEN KNOPF gedrückt.
    DEIN herz gleicht einem grossen, von langem regen angeschwollenen fluss. alle orientierungspunkte sind restlos in seinen fluten verschwunden, vielleicht schon an irgendeinen dunklen ort davongeschwemmt. immerfort prasselt der regen auf den fluss. und sooft du in den nachrichten eine überflutete landschaft SIEHST, DENKST DU: JA, GENAUSO SIEHT ES IN MEINEM HERZEN AUS.
    Bevor ich von zu Hause fortlaufe, wasche ich mir Gesicht und Hände mit Seife. Ich schneide mir die Nägel, säubere mir die Ohren und putze mir die Zähne. Ich nehme mir Zeit für eine möglichst gründliche Reinigung. Sauberkeit ist manchmal wichtiger als alles andere. Anschließend betrachte ich mein Gesicht aufmerksam im Badezimmerspiegel. Das Gesicht, das mein Vater und meine Mutter – wenngleich ich nicht die geringste Erinnerung an meine Mutter habe – mir vererbt haben. Ich kann jeden Ausdruck daraus verbannen, das Leuchten in meinen Augen abtöten, Muskeln aufbauen, soviel ich will, das Gesicht selbst kann ich nicht verändern. Sosehr ich es mir auch wünsche, die dunklen, langen Brauen mit der tiefen Kerbe dazwischen, die ich von meinem Vater habe, kann ich nicht loswerden. Wenn ich wollte, könnte ich meinen Vater töten (mit der Kraft, die ich inzwischen besitze, wäre das keine Schwierigkeit) und die Mutter aus meinem Gedächtnis streichen, aber ihre Gene in mir kann ich nicht löschen. So wenig wie ich mich selbst aus mir vertreiben kann.
    Und dann ist da noch die Prophezeiung. Wie ein innerer Mechanismus ist sie mir einprogrammiert.
     
    MIR EINPROGRAMMIERT WIE EIN MECHANISMUS.
    Ich mache das Licht aus und verlasse das Badezimmer. Im Haus herrscht eine schwere, drückende Stille. Sie besteht aus dem Flüstern von Menschen, die nicht existieren, dem Atem von Menschen, die nicht leben. Ich sehe mich um, bleibe stehen und hole tief Luft. Die Zeiger der Uhr stehen auf kurz nach drei Uhr nachmittags. Sie wirken schrecklich kalt und distanziert. Unparteiisch zwar, aber eben doch nicht auf meiner Seite. Allmählich wird es Zeit, diesen Ort hinter mir zu lassen. Ich schultere meinen kleinen Rucksack. Obwohl ich ihn immer wieder probeweise aufgesetzt habe, fühlt er sich auf einmal viel schwerer an als vorher.
    Als Reiseziel habe ich Shikoku gewählt. Nicht, dass es einen bestimmten Grund für mich gibt, nach Shikoku zu fahren. Aber als ich den Atlas aufschlage, habe ich irgendwie das Gefühl, dass ich mich dorthin wenden sollte. Je öfter ich darauf schaue, umso mehr zieht die Gegend mich an. Shikoku liegt viel südlicher als Tokyo, ist von Hondo durch das Meer getrennt und hat ein mildes Klima. Ich war noch nie auf Shikoku und habe dort weder Bekannte noch Verwandte. Schon deshalb wird es unmöglich sein, mich dort aufzuspüren, selbst wenn jemand sich tatsächlich auf die Suche nach mir begeben sollte (womit ich ohnehin nicht rechne).
     
    Am Schalter kaufe ich mir eine Fahrkarte für einen reservierten Platz und steige in den Nachtbus – die billigste Möglichkeit, nach Takamatsu zu kommen. Das Ticket kostet etwas über 10000 Yen. Niemand nimmt von mir Notiz. Keiner fragt nach meinem Alter oder schaut sich mein Gesicht an. Mit dienstlicher Miene kontrolliert der Fahrer mein Ticket, mehr nicht.
    Der Bus ist nur zu etwa einem Drittel besetzt. Da die Mehrzahl der Passagiere wie ich allein unterwegs ist, herrscht im Bus eine etwas unnatürliche Stille. Die Reise nach Takamatsu ist ziemlich weit. Dem Fahrplan zufolge dauert sie ungefähr zehn Stunden. Ankunft ist in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages. Aber Zeit spielt sowieso keine Rolle für mich. Zeit habe ich jetzt, soviel ich will. Als der Bus kurz nach acht Uhr abfährt, lehne ich mich in meinen Sitz zurück und
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