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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand
Autoren: Haruki Murakami
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schlafe auf der Stelle ein, als habe man mir die Batterie herausgenommen.
    Vor Mitternacht beginnt es plötzlich stark zu regnen. Von Zeit zu Zeit wache ich auf und schaue zwischen den billigen Vorhängen hindurch auf die nächtliche Schnellstraße. Der heftig gegen die Scheiben prasselnde Regen lässt das Licht der Straßenlaternen verschwimmen, die sich in regelmäßiger Abfolge am Rand entlangziehen, soweit das Auge reicht. Ein neues Licht wird eingeholt, wird schon im nächsten Augenblick zum alten Licht, um dann unwiderruflich auf der Strecke zu bleiben. Ehe ich mich versehe, ist es zwölf Uhr vorbei. Automatisch, wie von hinten angeschoben, ist mein fünfzehnter Geburtstag da.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagt Krähe.
    »Danke.«
    Wie ein Schatten verfolgt mich die Prophezeiung. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass meine Mauer nicht eingestürzt ist, ziehe ich den Vorhang zu und schlafe weiter.

2
    Bei folgendem Dokument handelt es sich um eine vom amerikanischen Verteidigungsministerium als »streng geheim« eingestufte Verschlusssache, die 1986 gemäß dem Informationsgesetz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Die Akte ist im amerikanischen Staatsarchiv (NARA) in Washington einsehbar.
     
    Die hier dokumentierten Untersuchungen wurden zwischen März und April 1946 vom Heeresnachrichtendienst unter der Leitung von Mayor James P. Warren durchgeführt. Leutnant Robert O’Connell und Feldwebel Harold Katayama nahmen in der Präfektur Yamanashi Nachforschungen vor Ort vor. Sämtliche Befragungen oblagen Robert O’Connell; die Übersetzungen fertigte Feldwebel Katayama an. Zuständig für die Niederschrift der Dokumente war der Gemeine William Cohn.
    Die Interviews wurden über einen Zeitraum von zwölf Tagen im Konferenzsaal des Rathauses von ** in der Präfektur Yamanashi durchgeführt. Eine Lehrerin der Volksschule von **, ein ortsansässiger Arzt, zwei dort stationierte Polizeibeamte und sechs Schüler antworteten getrennt auf O’Connells Fragen.
    Die beigefügten Karten im Maßstab 1:10000 und 1: 2000 wurden vom Amt für Kartographie des Innenministeriums erstellt.
     
    Bericht des amerikanischen Informationsministeriums (MIS) Datum: 12. Mai 1946
    Titel: RICEBOWL HILL INCIDENT, 1944: Report Archivnummer: PTYX-722-8936745-42213-WWN
    Befragung von Frau Setsuko Okamochi (26), zum Zeitpunkt des Vorfalls Lehrerin der vierten Klasse an der Volksschule von **. Es wurde eine Tonbandaufnahme gemacht. Das zu diesem Protokoll gehörige Zusatzmaterial verfügt über die Nummern PTYX-722-SQ-118 bis 122.
     
    Bemerkungen von Leutnant Robert O’Connell: »Setsuko Okamochi ist eine zierliche Frau mit angenehmen Gesichtszügen. Ihre Antworten zeichnen sich durch Intelligenz und Verantwortungsbewusstsein aus und sind präzise und wahrheitsgetreu. Offenbar hat sie durch das Erlebnis einen erheblichen Schock davongetragen, dessen Nachwirkungen noch andauern. Beim Rekapitulieren des Vorfalls wurde eine nervöse Anspannung erkennbar, durch die ihre Sprechweise sich verlangsamte.«
     
    Ich glaube, es geschah kurz nach zehn Uhr am Vormittag. Hoch am Himmel blitzte etwas Silbriges, etwas hellglänzendes Silbriges. Ja, es handelte sich zweifellos um eine Lichtreflexion auf Metall. Das Glänzen hielt verhältnismäßig lange an und bewegte sich langsam von Ost nach West über den Himmel. Ich tippte auf eine B-29. Es war genau über uns, und wir mussten gerade nach oben schauen. Der Himmel war sehr hell, und das Licht blendete, so dass ich nur diesen Duralumin-ähnlichen, silbernen Glanz erkennen konnte. Jedenfalls war es so hoch, dass keine Form erkennbar war. Und dass wir von dort oben auch nicht gesehen werden konnten. Deshalb hatten wir auch keine Angst, und ich machte mir keine Sorgen, dass plötzlich eine Bombe vom Himmel fallen würde. Was hätte ein Bombenangriff mitten in den Bergen denn auch bewirken sollen? Ich überlegte, ob das Flugzeug vielleicht zur Bombardierung einer größeren Stadt unterwegs war oder sich bereits auf dem Rückflug von einem Angriff befand. Nicht besonders beunruhigt setzten wir daher unseren Weg fort. Eigentlich hatte uns die seltsame Schönheit dieses Lichts sogar gefallen.
    Armeedokumenten zufolge überflog zu diesem Zeitpunkt, nämlich am 7. November 1944 gegen zehn Uhr vormittags, kein amerikanischer Bomber oder überhaupt ein Flugzeug die Region.
     
    Aber alle sechzehn Kinder, die bei mir waren, und ich haben es deutlich gesehen und hielten es für eine B-29.
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