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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand
Autoren: Haruki Murakami
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Wangen sind voller Sommersprossen. Ihre Ohren laufen spitz nach oben zu. Zumindest ist es ein auffälliges Gesicht. Kühn gestaltet, könnte man sagen. Der Gesamteindruck ist jedoch keineswegs negativ. Auch wenn die Person selbst mit ihrer Erscheinung vielleicht nicht völlig zufrieden ist, wirkt sie doch entspannt und mit sich im Reinen. Das ist doch wohl das Wichtigste. Das Kindliche ihres Aussehens wirkt beruhigend auf das Gegenüber. Zumindest auf mich. Sie ist nicht groß, aber schlank und geschmeidig. Ihr Busen ist verhältnismäßig groß. Außerdem hat sie hübsche Beine.
    An beiden Ohrläppchen hängen Ohrringe aus dünnem Metall, die hin und wieder aufblitzen wie Aluminium. Ihr schulterlanges Haar ist braun (fast rot) gefärbt, und sie trägt ein breit gestreiftes, langärmliges T-Shirt mit Bootsausschnitt. Über ihrer Schulter hängt ein kleiner Lederrucksack, und um den Hals hat sie sich einen leichten Sommerpullover geschlungen. Cremefarbener Minirock und keine Strümpfe. Sie scheint sich gerade im Waschraum das Gesicht gewaschen zu haben, denn auf ihrer breiten Stirn kleben wie dünne Wurzeln noch ein paar Haarsträhnen. Das macht sie mir irgendwie sympathisch.
    »Du bist auch aus dem Bus, oder?«, fragt sie mich. Ihre Stimme klingt leicht heiser.
    »Ja.«
    Sie runzelt die Stirn und nimmt einen Schluck Kaffee. »Wie alt bist du?«
    »Siebzehn«, lüge ich.
    »Oberstufe, oder?«
    Ich nicke.
    »Wohin fährst du?«
    »Nach Takamatsu.«
    »Wie ich«, sagt sie. »Hin und zurück?«
    »Nur hin«, antworte ich.
    »Ich auch. Ich habe dort eine Freundin, aber eine sehr gute. Und du?«
    »Verwandte.«
    Sie nickt, als sei damit alles geklärt, und stellt keine Fragen mehr.
    »Ich habe einen jüngeren Bruder in deinem Alter«, sagt sie, als sei ihr das eben erst eingefallen. »Aber aus bestimmten Gründen habe ich ihn schon länger nicht gesehen … Weißt du, wem du ähnlich siehst? Diesem Typ, wie heißt er noch? Total ähnlich.«
    » Diesem Typ? «
    »Ja, diesem Sänger in dieser Band. Seit ich dich vorhin das erste Mal im Bus gesehen habe, zerbreche ich mir darüber den Kopf, aber der Name fällt mir echt nicht ein. Sense. Das gibt’s ja manchmal. Man versucht sich zu erinnern, aber es geht nicht. Hat dir noch niemand gesagt, dass du irgendwem ähnlich siehst?«
    Ich schüttele den Kopf. So etwas hat noch nie jemand zu mir gesagt. Sie nimmt mich noch einmal mit zusammengekniffenen Augen ins Visier.
    »Wem denn nur?«, frage ich.
    »Einem aus dem Fernsehen.«
    »Aus dem Fernsehen?«
    »Ja, aus dem Fernsehen.« Sie beißt in ihr Schinken-Sandwich und kaut ausdruckslos darauf herum. Dann trinkt sie wieder von ihrem Kaffee. »Ein Junge, der in irgend so einer Band singt. Nichts zu machen. Nicht mal der Name von der Band fällt mir ein. Er ist groß und dünn und spricht Kansai-Dialekt. Kommst du nicht drauf?«
    »Keine Ahnung. Außerdem sehe ich nicht fern.«
    Sie sieht mich mit ungläubig gerunzelter Stirn an. »Du siehst nicht fern? Überhaupt nie?«
    Wortlos schüttele ich den Kopf. Oder sollte ich lieber nicken? Ich nicke.
    »Reden tust du auch nicht gerade viel. Und wenn du was sagst, dann höchstens einmal eine Zeile. Ist das bei dir immer so?«
    Ich erröte. Natürlich bin ich von Natur aus wortkarg, aber ein weiterer Grund für meine Schweigsamkeit ist mein Stimmbruch. Normalerweise spreche ich mit einigermaßen tiefer Stimme, aber manchmal kippt sie plötzlich um. Darum achte ich darauf, möglichst nicht zu lange am Stück zu reden.
    »Ist ja auch egal«, fährt sie fort. »Jedenfalls siehst du diesem Jungen, der Kansai-Dialekt spricht und in dieser Band singt, echt ähnlich. Auch wenn du natürlich keinen Kansai-Dialekt sprichst. Nur, irgendwie … ist die Ausstrahlung sehr ähnlich. Ein ziemlich sympathischer Typ. Das ist alles.«
    Ihr Lächeln verschiebt sich ein bisschen. Es verschwindet kurz, um sogleich wieder zurückzukehren. Ich bin immer noch ziemlich rot.
    »Wenn du eine andere Frisur hättest, würdest du ihm noch ähnlicher sehen. Mit Gel könntest du deine Haare aufstellen. Wenn es ginge, würde ich es gleich hier machen. Das würde dir bestimmt gut stehen. Ich bin nämlich Friseuse.«
    Ich nicke. Und trinke von meinem Tee. In der Cafeteria ist es sehr still. Nicht einmal Musik gibt es. Man hört auch niemanden sprechen.
    »Redest du nicht gern?«, fragt sie mich, die Wange mit ernster Miene in die Hand gestützt.
    Ich schüttele den Kopf. »Nein, das kann man nicht sagen.«
    »Falle ich dir
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