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Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Titel: Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
Autoren: Arnaldur Indriðason
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und Mutter hatte die Ehe strapaziert. Er hatte María immer öfter sagen müssen, dass er nicht ihre Mutter geheiratet hatte und es auch nie sein Wunsch gewesen war.
    Als Leonóra erkrankte, schien María den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihr Leben änderte sich nicht weniger als das von Leonóra. Sie wich nicht von der Seite der Kranken. Baldvin zog in das Gästezimmer des Hauses, und María schlief neben ihrer sterbenden Mutter. Sie stellte alles zurück, woran sie gerade arbeitete, und brach den Kontakt zu ihren Freunden größtenteils ab. Eines Tages wurden sie von einem Bauunternehmer kontaktiert, der herausgefunden hatte, dass Leonóra und María ein Stück Land in Kópavogur besaßen. Er wollte es kaufen. Der Bauboom war dort in vollem Gang, und die Grundstückspreise waren in die Höhe geschnellt. Sie hatten zwar immer von diesem Besitz gewusst, aber es wäre ihnen nie eingefallen, dass er ein Vermögen wert sein könnte. Sie hatten dieses Land eigentlich so gut wie vergessen, als ihnen das Angebot unterbreitet wurde. Die Summe, die der Bauunternehmer dafür zahlen wollte, war gigantisch. Baldvin hatte noch nie solche Zahlen auf einem Papier gesehen. María zeigte sich unbeeindruckt. Sie hatte sich noch nie für weltlichen Besitz interessiert, und jetzt war ihr ganzes Sinnen und Trachten auf ihre Mutter ausgerichtet. Sie überließ es Baldvin, den Verkauf in die Wege zu leiten. Er setzte sich mit einem Notar in Verbindung, der ihnen half, sich über den Preis und den Auszahlungsmodus zu einigen, die notwendigen Dokumente zu stempeln und die Änderungen ins Grundbuch eintragen zu lassen. Urplötzlich waren sie reicher, als sich Baldvin je hatte vorstellen können.
    Je schlechter der Zustand ihrer Mutter wurde, desto mehr zog María sich zurück, und in den letzten Wochen und Tagen verließ sie das Krankenzimmer gar nicht mehr. Leonóra wollte zu Hause sterben. Der Arzt kam in regelmäßigen Abständen und dosierte das Morphium. Andere durften nicht zu ihr hinein. Baldvin saß allein in der Küche, als Leonóra starb. Er hörte Marías Wehklagen aus dem Schlafzimmer und wusste, dass es vorüber war.
    Wochenlang war María untröstlich. Sie erzählte Baldvin, über was sie und ihre Mutter sich kurz vor ihrem Tod unterhalten hatten. Sie hatten vereinbart, dass Leonóra ihr ein Zeichen geben würde, wenn es so etwas wie ein Weiterleben gäbe.
    »Sie hat dir also von Proust erzählt?«, unterbrach Erlendur ihn.
    Baldvin holte tief Atem.
    »Sie war in einer entsetzlichen Verfassung, und außerdem nahm sie Betäubungsmittel und Psychopharmaka, deswegen hat sie es gleich wieder vergessen«, erklärte er. »Ich bin alles andere als stolz auf alles, was ich gemacht habe, einiges war einfach widerwärtig, das weiß ich, aber es ist nun einmal geschehen und nicht rückgängig zu machen.«
    »Mit Proust hat es angefangen, nicht wahr?«
    »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«, sagte Baldvin. »Der Titel passte. Es war immer, als suchten die beiden nach dieser verlorenen Zeit. Das habe ich nie verstanden.«
    »Was hast du gemacht?«
    »Ich habe in diesem Sommer eines Nachts den ersten Band aus dem Regal genommen und auf den Boden gelegt.«
    »Da hatten du und Karólina bereits eure Schlingen für sie ausgelegt?«
    »Ja«, sagte Baldvin leise. »Da hatte es schon angefangen.«
    Er hatte die Vorhänge nicht zurückgezogen, deswegen war es sowohl kalt als auch dämmrig in dem Haus. Erlendur blickte ins Wohnzimmer, wo Marías Leben geendet hatte.
    »War es Karólínas Idee?«
    »Sie hat immer mit diesem Gedanken gespielt. Sie wollte viel weiter gehen als ich. Ich fand … Ich war bereit, María zu helfen, falls sie das ausprobieren und herausfinden wollte, also, ob es ein Leben danach, ein Weiterleben, ob es ein Jenseits gibt. Sie hatte oft genug darüber gesprochen, mit mir auch, aber vor allem mit Leonóra. Sie fand viel Trost in dem Gedanken an ein Leben nach dem Tod. Die Vorstellung, dass unser irdisches Leben keineswegs das Ende von allem ist, war ihr ein echter Trost. Die beiden fanden die Idee schön, dass der Tod nur der Beginn von etwas anderem ist. María hat Bücher darüber gelesen und im Internet geforscht. Sie hat sehr intensiv recherchiert.«
    »Aber du wolltest nicht aufs Ganze gehen, oder?«
    »Nein, auf gar keinen Fall. Und das habe ich auch nicht getan.«
    »Ihr habt euch Marías Schwächen zunutze gemacht?«
    »Es war ein scheußliches Spiel, das weiß ich«, sagte Baldvin. »Ich habe mich dabei
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