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K

Titel: K
Autoren: T McCarthy
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wichtigster Teilnehmer.
    Die Zeremonie ist Krönung oder Hochzeit – genauer noch: eine Kombination von beidem, das Dekor jedenfalls königlich.
Juwelenbesetzte Vögel hocken auf vergoldeten Zweigen, unter denen über blütenbestreute Erde Pfaue stolzieren, deren aufgefächerter, diamantenbestückter, mit einer großen Sonne bebilderter Schweif über bernsteinfarbene Kampferblöcke wischt, die sacht an filigranen Strängen aus geflochtenem Gold kreiseln. Serge steht mit seiner Braut auf erhöhtem Podest. Das Paar trägt schwarze, um den Kopf gewickelte Bänder, die ihre Stirn befleckt haben, wie es der Brauch bei dieser Zeremonie vorschreibt. Neben dem Podest steht ein Steward, der Thots Ibis-Maske trägt und einen Satz Tücher oder Tafeln, Kopieraufträge oder Berichte in der Hand hält. Hinter ihm erstreckt sich Versoies Mosaikgarten, und jenseits der verfallenen Mauer sind verwitterte Ställe, ein überwucherter Weg und die Ruinen des Haupthauses zu sehen. Dem Steward zur Seite steht die ungehaltene Frau vom Schiff, verwandelt in eine tuchverhüllte Priesterin, der aerodynamische, schwarz-und purpurfarbene Dreiecke aus den Augen quellen. Hinter den beiden, gleich neben dem Podest, beugen sich Journalisten aufgeregt über die Tische der ersten Reihe und hämmern pausenlos auf ihre Schreibmaschinen ein, dreschen auf die Durchschläge, die man ihnen aus den Walzen reißt, sobald die Seiten vollgeschrieben sind, um sie an schnelle Kuriere zu verteilen und in Windeseile zur Fleet Street bringen zu lassen, damit sie auf riesigen, ächzenden Pressen gedruckt, gebündelt, in die Städte der ganzen Welt geliefert und in geheimen Hinterzimmern nach Schlüsselworten und Akrostichen durchsucht werden. Da Serge und seine Braut die Farbbänder der Schreibmaschinen für ihren Kopfputz beschlagnahmt haben, sind alle Seiten leer, doch scheint dies niemanden zu kümmern. Man hämmert trotzdem in die Tasten, verteilt die Blätter, überbringt sie, setzt sie, druckt und studiert sie. Am anderen Ende des Podiums, den Journalisten gegenüber, spielen Musiker und vibrieren im Takt. Hinter ihnen, aber auch
sonst überall, halten Kinder – androgyne Dienstboten beiderlei Geschlechts – schwarze, runde Scheiben in die Höhe und singen wie aus einem Munde:
    Aus Tinte
Aus Tinte
Aus Tinte meiner Liebe
    Vor Serge und seiner Verlobten steht ein Priester, dem Leinwand- oder Papiermachéflügel aus den breiten Schulterblättern wachsen. Auch er spricht Worte, murmelt in liturgischem Singsang lange Segenssentenzen, die durch ihre Wiederholung den Zweck der Zeremonie erfüllen. Im Gesinge der hermaphroditischen Kinder und im Geklapper der Coronas lässt sich der genaue Wortlaut nicht ausmachen, doch soll man das Gesagte auch gar nicht verstehen: Wie jede liturgische Rede fließt auch diese über die Lippen und gleitet in glattem, stetem Strom dahin. Diese Worte, die Redewendung »in glattem, stetem Strom« (und Serge kann sie hören, diese Wendung, genau diese Worte, hört sie neben, unter, vielleicht auch nur tiefer drinnen im Gesang, dem Intonieren und all dem Rest, wie aus einem Raum, der von diesem nicht getrennt ist, sondern irgendwie auf ihn zuläuft, sich mit ihm überschneidet: Worte, die wie der Radiokommentar bei einem Boxkampf heruntergerattert werden), ist alles andere als metaphorisch gemeint: Ein Seidenfaden strömt tatsächlich stetig aus des Priesters Mund, schnürt über die Schultern von Serge und seiner Braut, über die Schultern der Kinder, die Zweige der Bäume und die duftenden Kampferblöcke, ehe er auf konfettibestreuten Boden fällt und sich um die Zehen der dahingleitenden Pfaue ringelt. Teile des Gesangs sind deutlich: der Teil (zum Beispiel) über die »tickende Zeit«, diese Zecke, die ihn, in einem Augenblick jüngster Vergangenheit, zeremoniell
gebissen hat, oder jener über das damit verwandte, darauf verweisende Zwei-Wort-Kompositum »Tickerstreifen«. Die Kinder singen derweil weiter, vervollständigen aber den Refrain, während ihre so matten wie jubilierenden Stimmen sich in Tonhöhe und Lautstärke steigern:
    Aus Tinte
Aus Tinte
Aus Tinte meiner Liebe Dauer schafft
    Serge spürt diese Liebe ebenfalls, nicht auf abstrakte Weise, sondern buchstäblich, kann sie physisch fühlen, sie sogar sehen, da sie im Kampfer und im Faden Gestalt angenommen hat, in den Zweigen und Federn, dem goldenen, filigranen Strang, vor allem aber in den schwarzen Schreibmaschinenbändern. Sie prägt die Eigenart der Luft, die sich
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